home
   
vitakontakt: mail(at)wolfgang-bauer.info
   
Textarchiv 2011Textarchiv 2010Textarchiv 2009Textarchiv 2008Textarchiv 2007Textarchiv 2006Textarchiv 2005Textarchiv 2004Textarchiv 2003Textarchiv 2002Textarchiv 2001Textarchiv 2000
 

Die zehn Männer von Kapitän Ibrahim stehen in der Mitte der somalischen Steppe, in einer langen Reihe, bisher schwiegen sie, misstrauisch, in sich gekehrt, aber nun beginnen sie zu begreifen. Die Männer wenden sich einander zu, mit geweiteten Augen, sie reißen die Kiefer auf und lachen. Zu ihren Füßen haben sie das wenige Gepäck in zugeknoteten Plastiktüten abgestellt. Viele können sich nur mit großen Schmerzen auf den Beinen halten, treten von einem Fuß auf den anderen, doch sie lachen und lachen. Es ist der 29. November 2011. Der Tag, an dem sie zurückerhalten, was sie längst verloren glaubten. Das Leben. Eine Reportage über die Rückkehr von elf pakistanischen Fischern, die ein Jahr lang in der Hand von somalischen Piraten waren. mehr 

 

Captain Ibrahim’s ten crew members stand in the middle of a Somalian steppe in a long line. Until now they were silent, distrustful, introverted, but now they begin to comprehend. The men turn to each other with eyes wide, throw their mouths open and laugh. They have placed their few belongings in knotted plastic bags at their feet. Many can only stand upright with severe pain and shift their weight constantly from one leg to the other, but they laugh and laugh. It is November 29, 2011. The day when they regain what they had thought was lost forever: their lives. A report on the return of eleven Pakistani fishermen who were held captive by Somali pirates for a year. more

 

 

 
 

Wird es in Libyen gelingen, Gaddafis Anhänger mit den ehemaligen Rebellen zu versöhnen? Eine Reportage über die Nachbarstädte Misrata und Sirte, die sich gegenseitig zerfleischten und nun wieder zusammenwachsen müssen. Libyen ist nach dem Bürgerkrieg in seine Regionen zerfallen. Sie trennen tiefe Narben, die nicht abheilen, sondern zu eitern beginnen. Die schlimmste Wunde im Land ist zwischen den Nachbarstädten Sirte und Misrata gerissen. Im Krieg haben sich die Orte gegenseitig verwüstet.„Wir betrachten Sirte vorläufig nicht mehr als Teil von Libyen“, sagt das Mitglied des Nationalen Übergangsrates, Dr. Sulaiman Fortia in Misrata.„Die meisten hassen Misrata“, erklärt Dr. Sulaiman Ahmed Abu Aboshwishe in Sirte. „Sie haben uns alles genommen.“ Das Verhältnis dieser beiden Städte entscheidet über die Zukunft des Landes, über Frieden und Unversöhnlichkeit. Ob es den neuen Mächtigen gelingt, die Feinde von einst in einem Staat zu vereinen. Oder ob die Revolution des 17. Februars schon bald zur nächsten führt. Der Gegenrevolution. mehr 

 

Will it be possible in Libya to reconcile Qaddafi loyalists with former rebel fighters? A report on two neighboring cities – Misrata and Sirte – that tore each other to pieces and must now grow back together. Libya after the civil war has fallen apart into its regions. They are separated by deep scars that are not healing but instead beginning to fester. The country’s worst injury was torn between the neighboring cities of Sirte and Misrata. During the war the two towns laid waste to each other. “For the time being we no longer regard Sirte as part of Libya,” National Transitional Council member Dr. Suleiman Al-Fortia says in Misrata. “Most people hate Misrata,” Dr. Suleiman Ahmed Abu Aboshwishe says in Sirte. “They took away everything we had.” The relationship between the two cities will decide the country’s future between peace and irreconcilable differences. It will decide whether the new rulers of Libya can unite onetime enemies under a single flag, or the revolution of February 17 laid the groundwork for the next revolution – the counterrevolution. more

 

 

 
 

Der Tag, an dem die Welt in Jabreel, einem Vorort von Herat, Afghanistan, aus ihrer Ordnung bricht, ist der 6. Juli 2011, ein Mittwoch, an dem sich Rafi Mohammed und Halima Mohammedi entschließen, ihren Plan umzusetzen. Der Plan ist denkbar schlicht, und zunächst scheint er aufzugehen. Halima, deren Familie die Beziehung zu Rafi ablehnt, verlässt am Nachmittag das Haus ihrer Schwester, in der Hand das Handy, das sie ihr gestohlen hat. Sie tritt auf die Straße, wartet auf den Jungen, der zur vereinbarten Uhrzeit mit einem Wagen kommen soll. Doch er ist nicht pünktlich. Sie ruft ihn an, aufgeregt. So erfahren die Umstehenden von Halimas Plan, junge Rikscha-Fahrer, die hier auf Kundschaft warten. Dass sich ein Mädchen aus Jabreel ohne Erlaubnis der Familie mit einem Jungen davonmachen will. Als Rafi endlich vorfährt und Halima einsteigt, blockieren plötzlich ein halbes Dutzend Rikschas den Weg. Hunderte Menschen umringen den Wagen. Hände greifen ins Innere des Toyota, zerren an Rafi, kratzen ihm blutige Wunden, er wehrt sich, doch immer mehr Hände drängen durch die Wagentür. Aus Ohren, die sich rasch mit warmem Blut füllen, hört er die Rufe. „Hängt sie auf! Tötet sie!“ Eine Reportage über das Liebespaar Rafi und Halima, das der Autor ein Jahr lang begleitete. mehr  

 

The day when the world in Jabreel – a suburb of Herat, Afghanistan – turned upside down was July 6, 2011. The Wednesday when Rafi Mohammaed and Halima Mohammedi resolve to put their plan into action. The plan could not be simpler, and at first it seems to be working. Halima, whose family rejects her relationship with Rafi, leaves her sister’s house in the afternoon. In her hand her sister’s cell phone, which she has stolen. She steps into the street to wait for her boyfriend, who will pick her up with a car. But he is not punctual. She calls him, nervous. And thus bystanders learn of Halima’s plan – young rickshaw drivers, waiting here for customers. That a girl from Jabreel plans to run away with a boy without her family’s permission. When Rafi finally drives up and Halima jumps in, half a dozen rickshaws suddenly block their way. The Toyota is surrounded. Hands reach into the interior, yanking on Rafi’s clothes, scratching wounds into his body. He defends himself, but ever more hands force their way through the doors. His ears filling with warm blood, he hears the cries. “Hang them! Kill them!” Rafi and Halima, young and in love in Afghanistan. The author followed their struggle for a year. more 

 

 

 
 

In der Klinik heben der Arzt und seine Helfer sorgenvoll die Köpfe. Sie operieren jetzt unentwegt. Wie taumelnd bewegen sie sich durch die Flure. Die Splitter der Helikopter-Geschosse jagen über die Häuser. Das Feldkrankenhaus in der Nachbarprovinz Idlib ist vor wenigen Tagen durch eine Heli-kopterattacke zerstört worden. „Der gefährlichste Ort der Stadt“, nennt Anwar das Lazarett. „Die Armee weiß, wo unsere Klinik ist. Sie hätte längst umziehen sollen.“ Viele Leichtverletzte kommen heute zur Erstversorgung, getroffen von oft nur millimetergroßen Metallklingen. Ein Kämpfer verzieht das Gesicht, als der Arzt eine Pinzette durch eine Fünf-Cent-große Wunde in der Wange führt. „Wir haben keinen CT Scan“, sagt der Doktor. „Also muss uns der Schmerz zum Splitter führen.“ Er dreht und wendet die Pinzette im Fleisch, Blut fließt aus der Wunde, über Wange und Kinn, dann hat er es. Ein winziges Körnchen. Er hält es vor die Augen des Verletzten. „Das ist nicht schön für den Patienten“, sagt der Arzt, sich die Handschuhe abstreifend. „Aber wir haben bei der Behandlung kein anderes Hilfsmittel als den Schmerz.“ Eine Reportage aus der ersten Stadt Syrien, in der im Mai 2012 die Rebellen die Macht übernommen haben. mehr 

 

In the clinic the doctor and his assistant raise their heads. They look worried. They now perform operations without a break. They stagger dizzily through the hallways. Shrapnel from helicopter rounds skips across the buildings. The field hospital in the neighboring province of Idlib was destroyed in a helicopter attack a few days ago. “The most dangerous place in the city,” Anwar calls the hospital. “The army knows where our clinic is. It should have been moved a long time ago.” Many lightly wounded people have come today to receive first aid, often hit by shards of metal only a few millimeters long. A fighter grimaces as the doctor threads tweezers through a dime-sized hole in his cheek. “We don’t have a CT scan,” the doctor says. “So we let the pain lead us to the fragment.” He turns and twists the tweezers in the flesh. Blood flows from the wound across cheek and chin, and then he has it. A tiny grain. He holds it up for the patient to see. “It’s not nice for the patients,” the doctor says, peeling off his gloves. “But during the treatment we have no better help than the pain.” A report from the first city in Syria where the rebels took power in May 2012.more

 

 

 

 
 

Nicht über die Schuhbänder stolpern, denke ich, um an irgendetwas zu denken. Der Boden bebt von der Wucht der Explosion. Ich erreiche das Erdgeschoss, drücke mich an die Wand. Hier soll der Beton am massivsten sein. Eine Reportage aus einer Straße im Herzen Aleppos. mehr   

 

Don’t trip over your shoelaces, I think, just to be thinking about something. The floor heaves from the force of the explosion. I reach the ground floor and press myself against a wall. Here is where the concrete is supposed to be thickest. A report from a street in the heart of Aleppo.more

 

 

 

 

 

 

 

 
 

Am Anfang, der immer gleich ist, der sich nie ändert bis zum Ende dieser Welt, brechen in den Molekülen Elektronen aus ihren Umlaufbahnen. Tief im Innern der Dinge kollabiert die Ordnung. Das Gitter der Moleküle zerreißt. Die Atomkerne geraten aus ihrem Gleichgewicht, sie taumeln, ziehen sich an und stoßen sich ab, der eine den anderen. Sie drängen sich ge-genseitig hinaus, schnell, bis zu 9600 Meter in der Sekunde, schneller als der Schall, der durch die Gassen der Stadt jagt, der viele Kilometer ins Land hinaus rollt, und den nur noch die Lebenden hören und nicht mehr die Toten. In Bagdad explodieren jeden Tag Sprengfallen. Unterwegs mit den Männern, die sie entschärfen. mehr 

 

In the beginning – which is always the same, which will never change until the end of this world – electrons in the molecules break out of their orbits. Deep in the heart of things, the established order collapses. Gaps appear in the scaffolding of molecules. Nuclei lose their balance. They lurch and fall against each other, shove each other away. They push each other outward, fast, up to six miles a second – much faster than the sound that follows them through the city’s narrow alleyways and rolls many miles out into the countryside, a sound heard only by the living, no longer by the dead.  more 

 

 

 
 

Auf nackter Erde liegen die Kinder, nicht geboren und nicht begraben. Sie haben die Hände über die Augen geschoben, als blende sie das Licht. Die Fingernägel, dünn wie Seidenpapier. Ihre Beine haben sie angezogen, die Knie ganz bis zum Bauch. Durch die Wipfel des Birkenwaldes fällt die Sonne auf viele Dutzende von ihnen. Die Kleineren liegen zwischen den Größeren, ihre Körper sind ineinander verhakt. Es ist der 23. Juli 2012, früher Morgen, Provinz Swerdlowsk in Zentralrussland. Die sanften Höhen des Ural. An diesem Tag fahren zwei junge Männer aus dem Nachbardorf an der Lichtung vorbei. Sie sind im Wald auf ihren Mofas unterwegs, wollen fischen, in den Bächen, illegal. Als sie auf der Lichtung vier blaue Plastikfässer sehen, öffnen sie eines, um es mit gefangenen Hechten zu füllen. Die Fässer sind aber schon gefüllt: mit 248 toten Föten. Einer der seltsamsten Skandale der neueren russischen Geschichte. mehr 

 

The children lie on the bare earth, not born, not buried. Their hands are shoved over their eyes as if though blinded by the glare. The fingernails, thin as onionskin. Their legs are drawn up, knees touching bellies. Through the treetops of the birch forest the sunlight falls on dozens of them. Smaller ones lie between the larger ones, their bodies interlocked. It is early morning on July 23, 2012 in the province of Sverdlovsk in the southern Urals in central Russia. On this day, two young men from a nearby village pass the clearing on their mopeds, riding through the woods to do some illegal fishing in the creeks. When they see four blue plastic drums in the clearing, they open one to fill it with their catch of pike. But the drums are already full – with 248 dead fetuses. One of the strangest scandals in recent Russian history.   more 

 

 

 
   
top