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Peter Fischinger fällt. Das rechte Knie knickt ein und das Bein gibt nach. Den Mund reißt er auf, wie verblüfft. Er greift in die Luft. Einmal, zweimal, dann endlich bekommt er eine haltende Hand zu fassen. „Geht schon“, brabbelt er erschrocken. „Geht schon“, haspelt er erleichtert, und lässt die Hand nicht mehr los. Die Welt des 70-Jährigen, die er sich in 35 Jahren Arbeit erschuf, die kleine Kunstgalerie in Stuttgarts Mitte, hat keinen sicheren Boden mehr. Auf amputierten Stümpfen balanciert er durch die Verkaufsausstellung. Er vibriert am ganzen Körper, Mensch und Ersatzteil, Prothesen und Krücken, so reißt die Schwerkraft an ihm. Eine Reportage über fünf von 180 000 Menschen ohne Krankenversicherung. mehr 

 

Peter Fischinger falls to the ground. His right knee gives out and the leg folds under him. He opens his mouth with a startled look. He grabs at the empty air – once, twice, and then his hand finds another, willing to help him up. It takes him a long time to let go. “It’s all right,” he stammers, his voice hoarse with relief. “I’m fine.” At 70, he has spent 35 years building up a small art gallery in downtown Stuttgart. But now his little world stands on shaky ground. With both legs gone, every movement is a balancing act under constant strain. His whole body quivers as prostheses and crutches face off against gravity – always waiting, always ready to throw him to the ground. A portrait of five German citizens selected from the 180,000 who lack health insurance. more 

 

 

 
 

Klaus Karle wartet auf seine Frau. Es ist fast alles wieder in Ordnung. Er hat die Küche aufgeräumt, die Gläser stehen gespült im Schrank. Der Boden ist gesaugt. Karle, 41, erträgt Unordnung nicht. Ertrug er noch nie. Er sei überpenibel, stöhnen seine Bekannten. Früher konnte er selber darüber schmunzeln. Der weiße Opel Corsa seiner Frau muss jeden Moment in die Hauseinfahrt einbiegen. Sie ist eine halbe Stunde überfällig. Samstag, 30. April, Rheinfelden, schönstes Wetter, Grillwetter, bald 17 Uhr. Klaus Karle brachte im Laufe des Nachmittags seine zwei Kinder und seine Eltern um. Rekonstruktionsversuch eines sechsfachen Mordes in der badischen Provinz. mehr 

 

 

Klaus Karle, 41, is waiting for his wife. Everything looks fine. He has tidied up in the kitchen, even dried the glasses and put them away, and vacuumed the floor. He doesn’t like messes. Never did. Too fussy, his acquaintances sigh. Mentions of his fastidiousness used to draw a smirk even from him. Any minute now, his wife’s white Opel Corsa should be pulling into the driveway – she’s half an hour late. It’s pushing five o’clock on a Saturday, April 30th in Rheinfelden, a beautiful spring day, perfect for a picnic. Karle spent the afternoon slaughtering his parents and his two children: An attempt to reconstruct a six-victim homicide spree in small-town southwest Germany. more 

 

 

 
 

Die Entfernung beträgt 8 500Kilometer, im Jahr 1956 bedeutete das sieben Tage Flugzeit. Berlin, Minsk, Moskau, Sibirien und Peking. Eine Reise durch russische Schneetreiben und chinesische Sandstürme. Im Grunde war es ein irrwitziges Unterfangen, über diese Distanz von der DDR aus den Bau einer Großstadt koordinieren zu wollen. Hamhung steht für das größte entwicklungspolitische Abenteuer Ostberlins. „Wir bauen euch eine Stadt auf!“ hatte Ministerpräsident Otto Grotewohl dem sozialistischem Bruderland versprochen. Als einer der ersten westlichen Reporter bekam ich die Genehmigung die Stadt Hamhung zu besuchen. Eine Reportage über eine der abgeschottesten Städte der Welt. mehr  

 

 

In 1956, a distance of 8 500 kilometers meant seven days of flying – Berlin to Minsk, Moscow, Siberia, and Peking, through Russian blizzards and Chinese sandstorms. GDR President Otto Grotewohl promised the socialist brother country, “We will build you a city.” Hamhung became the most grandiose economic development project ever to emerge from the mind of East Berlin. I was one of the first western journalists to gain access to Hamhung, North Korea, one of earth’s most isolated backwaters. more 

 

 

 
 

Die Irren von Mullaitivu drehen sich in engen Kreisen. Langsam erst, wie schlafend, dann schneller, wilder, immer wilder, bis sie beinahe ausgleiten, sie fast aus ihrer Bahn fallen. Ganz still sind sie dabei. Nach einer Weile werden sie wieder langsamer, Runde für Runde. Ihre rissigen Fußsohlen schleifen über den Betonboden, schwerfällig, müde, um bald abermals zu rasen. In endlosen Drehungen verbringen viele Patienten ihre Tage im „Victory Home“, der Nervenheilanstalt im Nordosten Sri Lankas, wo 145 Menschen leben, überwiegend Frauen. Manche von ihnen haben ihre Namen vergessen. Zwei Reportagen über die vom Tsunami zerstörte Stadt Mullaitivu im Nordosten Sri Lankas, die ich drei Tage nach der Katastrophe und ein Jahr danach besuchte. mehr 

 

The madwomen of Mullaitivu pace in tight circles. Slowly at first, like sleepwalkers, then faster, ever wilder, until their feet slip and they lurch to keep from falling. They hardly make a sound. After a while the pace lessens. Each circle becomes a bit slower than the one before. Cracked, calloused feet shuffle over the concrete floor, listless and exhausted – but soon they will be racing again. Doing laps is the chief occupation of residents in the Victory Home, a mental hospital in northeastern Sri Lanka. Most of the 145 people who live here are women. Many have forgotten their names. Two reports from Mullaitivu, a city in ruins: I was there three days after the tsunami, and again a year later. more 

 

 

 
 

Du wirst es bereuen. Gehe nicht hin. Bleibe weit weg davon. Die Reise, die in Kasachstan startet und zwei Wochen später in einem Krankenhaus in Berlin endet, beginnt mit Warnungen. Einwohner von Kyzylorda raten ab, zum Plattenbau am Ortsrand zu fahren. Du unterschätzt das Risiko, sagen sie. Der Mundschutz aus Mull, den dir die Ärzte geben, schützt nicht. Die UV-Lampen, die in den Räumen die Luft säubern sollen, taugen nicht. Das Desinfektionsmittel, mit dem du dir die Hände einreibst, wieder und wieder, immer manischer, erst abends, dann auch mittags, fast stündlich irgendwann, desinfiziert nur ungenügend. Du holst dir in diesem Haus, vielleicht weniger, vielleicht mehr, etwas vom Tod: Tuberkulose. Die weiße Pest. Eine Reportage über die Ausbreitung der Tuberkulose von Zentralasien nach Europa. mehr  

 

You’ll regret it. Don’t go there! Stay far away. The journey that starts in Kazakhstan and ends two weeks later in a Berlin hospital begins with warnings. People in Kyzylorda counsel you not to visit the apartment block at the edge of town. You’re underestimating the danger, they say. The cloth mask the doctors give you won’t help. The ultraviolet lamps supposed to purify the air don’t work. The disinfectant you’re rubbing on your hands – again and again, with an air of mania, at first only in the evening but pretty soon at noontime, and then every hour on the hour – doesn’t really disinfect. You’ll catch your death here – if not your entire death, then some piece of it: From Central Asia, Tuberculosis is on the move toward Europe. more 

 

 

 
 

„Warum magst du Fliegenfischen nicht?“ fragt sich Grant Washburn manchmal. „Oder Segeln? Oder etwas anderes - irgendetwas anderes.“ Er reißt die Augen auf, mit jagendem Pulsschlag, zum dritten Mal in dieser Nacht. Albern, ärgert er sich und starrt auf die rote Digitalanzeige des Weckers. 3.40 Uhr. Der 37-Jährige schält sich aus dem Bett, lässt darin seine Frau schlummern, schleicht sich leise vorbei an den Zimmern seiner Töchter. In der Küche, die Richtung Meer liegt, lauscht er lange in die Finsternis. Eine gewaltige Kraft haben die Bojen da draußen gestern gemessen, 700 Meilen vor Kalifornien, 40 Stundenkilometer schnell, unaufhaltsam wälzt sie auf das Festland zu. Im Laufe des Tages wird sie die Küste erreichen. Es wird ein Alptraum werden und ein Traum. Beides will Washburn nicht verpassen. Ein Reportageprotokoll über Extremsurfer in Kalifornien. mehr 

 

Grant Washburn, 37, occasionally asks himself why he didn’t take up fly-fishing. Or sailing. Anything else. He opens his eyes for the third time – the night is endless – and stares at the red display of the digital alarm clock. It’s 3:40 a.m., and his pulse is racing. He peels off the bedclothes, leaving his wife to slumber on, and creeps out past his daughters’ rooms. In a kitchen that faces the ocean, he hearkens to the gloom. Somewhere out there, weather buoys have measured a powerful force – 700 miles off the California coast, moving at 40 miles an hour, it is rolling ineluctably toward the mainland. It should hit the beach sometime today. A nightmare – and a dream come true. Washburn doesn’t want to miss either one. more 

 

 

 
   

Die Welt ist in Wolfsburg morgens um 5.30 Uhr kein Volkswagen-Prospekt. In der „Tunnelschänke“ bei Bruno lösen sich die Letzten seufzend von Pils und Korn, Tankfüllung für die ersten Arbeitsstunden, und reihen sich ein in den trägen Strom. Nichts kann die Menschenmasse vom Weg abbringen, weder Gruß, noch Plausch, noch Illusionen. Bewegungen wie unter Hypnose. Frühschicht folgt auf Nachtschicht. Bruno zapft zehn Gläser für die nächsten Kunden vor. Feierabendbier der Nachtschichtler. Dreimal am Tag verschmelzen Wolfsburg und Werk, tauschen sie Menschen aus. Die Stadt bekommt müde, die Fabrik muntere, 50 000 insgesamt, morgens, mittags, abends. Es gibt kaum eine Stadt in Deutschland, die so eins ist mit einem Unternehmen wie Wolfsburg mit VW. Korruptionsskandal und Konzernkrise stürzen den Ort jetzt in eine große Unsicherheit. Die Wolfsburger fürchten: Die Fabrik frisst ihre Kinder. mehr 

 

At 5:30 a.m. in Wolfsburg, life doesn’t look much like a Volkswagen brochure. The last few regulars at Bruno’s Tunnel Bar sigh as they cast off their moorings – shots of corn liquor, with beer chasers, fuel for the first few hours. They exit to join a slow-moving river. Nothing – no greeting, no offer to chat, no illusion – can divert this mass of seemingly hypnotized workers from their goal. Bruno taps ten more beers for those about to arrive from the late shift. Wolfsburg and its Volkswagen plant exchange populations three times a day. The city accepts the tired, the factory absorbs the rested: 50,000 strong, morning, noon, and night. Hardly a city in Germany is so at one with its employer. Corruption scandals and financial crises have plunged the city into uncertainty. The workers are starting to wonder: Will the company devour its children? more 

 

 

 
   
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