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Der Schock betäubt dich am ersten Tag, sagt der Fabrikarbeiter Chao Yu. Dann kommen die Schmerzen. Die Finger schwellen in der zweiten Arbeitswoche an. In der fünften Woche am Fließband brennen sie so, dass du nachts nicht mehr schlafen kannst. Die Haut der Fingerkuppen schält sich bis zum Fleisch. Nach zwei Monaten ist die Hand taub. Roter Ausschlag platzt auf in deinem Gesicht, den Armen, den Bauch. Um dich herum sacken sie ohnmächtig am Fließband zusammen, da und dort, bis es auch dich das erste Mal erwischt. Und wenn du am nächsten Tag wieder zur Arbeit erscheinst, aschfahl, auf unsicheren Beinen, weißt du, jetzt bist du endgültig angekommen: im Wirtschaftswunder, in Chinas Spielzeugindustrie, der Traumfabrik der Welt. mehr 

 

“The first day, you’re still numb from shock,” factory worker Chao Yu claims. Then the pain starts. The swollen fingers come in week two. By your fifth week on the assembly line, they hurt so much you can’t sleep. Your fingertips are rubbed down to raw flesh. After two months, the hand is anaesthetized. A red rash spreads over your face, arms, and torso. You see other workers collapsing unconscious by the conveyor belts, and one day it’s your turn. When you show up for work the next day, with ashen skin and trembling legs, you know the secret of record economic growth. China’s toy industry, dream factory to the world. more

 

 

 
 

Nie war die Vergangenheit ein besseres Geschäft. Die Plünderung archäologischer Fundorte hat weltweit seit 15 Jahren extrem zugenommen, doch besonders dramatisch ist die Situation in Afghanistan. Nach Schätzungen der UNESCO übertrifft dort der Umsatz mit illegal ausgegrabenen Kulturgütern den des Drogenhandels. In vier bis fünf Jahren, warnen Experten, wird eines der archäologisch reichsten Länder der Welt auf immer seine Geschichte verloren haben. Das Dorf des Bauern Zahai ist eines von tausenden, die sich vom antiken Raubbau ernähren. Über pakistanische Zwischenhändler landet die Beute von Zahai in Japan, Arabien, den USA und Europa. Eine Reportage über die größte Kulturkatastrophe unserer Zeit. mehr  

 

Never has the past been a better business. Looting has peaked in the past 15 years worldwide, but the situation in Afghanistan is especially dramatic. By UNESCO’s estimates, revenue from illegal excavation exceeds that of the drug trade. Within five years, experts say, all usable traces of the historical record – in a region where ancient Greece encountered Buddhism – will be gone. Zahai’s farming village is one of thousands to shift its mode of subsistence to slash-and-burn archaeology. Middlemen in Pakistan fence his finds to collectors in Europe, the Arabian Peninsula, the U.S., and Japan. more 

 

 

 
 

„Du hast vier Tage,“ sagte der Kommandant, der lächelte und freundlich war zu der Lehrerin Androsi Neema. Er bot ihr sogar einen Stuhl an, wie sie sich erinnert. Sanft, als würde er durch Watte sprechen, war seine Stimme: „Danach werden wir alles, was noch da draußen ist, zu Asche brennen.“ Eine Reportage über den UN-Friedenseinsatz im Kongo und die Massaker, die Blauhelme mitverschulden. mehr 

 

 

 

 

 

“I’ll give you four days,” the commander says. He smiled at the teacher Androsi Neema. He was quite friendly, even offering her a chair, she recalls. His voice was soft and honeyed: “After that, we’ll reduce everything left out there to ashes.” The U.N. peace mission in Congo – and a massacre for which blue-helmeted U.N. troops share the blame. more 

 

 

 
 

Der Trost der Welt liegt in dieser Stimme, wie ein Gottesversprechen durchdringt sie die Nebelbänke. „Es ist alles okay.“ Die Fenster des Schiffes sind blind, wie weiß gestrichen. Es ist der erste Funkspruch, den die OOCL Qingdao seit langem empfängt. „Alles ist okay“, hallt er wiederholt durch die Stille der Kommandobrücke. Die Stimme des Lotsen vom deutschen Küstenradar. „Sie sind exakt auf Kurs.“ Die Qingdao befindet sich mit Kapitän Goy Ah Chon auf einer Reise, die nie endet, an keinem Tag im Jahr. In Endlosschleifen zieht sie zwischen Asien und Europa ihre Bahnen. Ein Mond aus Stahl, der einmal in sechs Wochen die Erde umkreist. Es steht der Crew die kraftzehrendste Station der Reise bevor. Ein Hafen der Superlative, der schneller wächst als jeder andere in Europa und dreimal turbulenter als Chinas Bruttoinlandsprodukt: Hamburg. Deutschlands Wirtschaftswunder. Mit 90 000 PS schiebt sich ihm die „OOCL Qingdao“ entgegen. mehr   

 

The voice soothes and consoles with the reassuring force of a divine promise. “Everything is okay.” The ship’s windows are blanks, shrouded in white by the fog, and the voice on the radio is the first the container ship OOCL Qingdao has heard in a long time. The voice of German shore-based radar echoes through the silence of the bridge. “You’re exactly on course.” Captain Goy Ah Chon has nearly reached one terminus of an endless journey on a ship that never stops moving. Like a steel moon, she revolves every six weeks, Asia to Europe and back again. The crew now faces the journey’s most strenuous phase – a port of superlatives, the fastest growing in Europe, three times as turbulent as China’s GDP. Somewhere out there is Hamburg, Germany’s economic miracle, and 90,000 horsepower shoves the OOCL Qingdao toward its quays. more

 

 

 
 

Es ist in Tokio die Zeit zwischen Taifun Nummer sechs und Taifun Nummer sieben. Die Erde schweigt seit Wochen. Ungewöhnlich lange sind kleinere Erschütterungen ausgeblieben. Schon werden einige nervös. Bauen sich Spannungen für das lange erwartete große Beben auf? In den Curryküchen wird diskutiert. Die Tokioter verbringen einen ganz normalen Sommer. Es gibt Leute, die sagen, dass nur ein böser Fluch Menschen in dieser Stadt wohnen lassen kann. Sie irren. Es ist das Glück. Ein Reportage über die Liebe in Tokio. mehr 

 

 

 

 

It’s the interlude between typhoon six and typhoon seven. The earth has been silent for weeks – seldom do the recurrent minor earthquakes leave such long gaps. People are getting nervous. Is tension building up for the big one? Debates rage in the curry kitchens. For the inhabitants of Tokyo, just another normal summer. Some say only an evil curse could keep people living here. They’re wrong: It’s joy that binds them to the metropolis. more

 

 

 
   

Das Kreischen der Überlebenden überdeckt den Jazz der Kapellen, die Tuben, die Trompeten, mit aufgerissenen Mündern brüllen sie aus tausenden Kehlen. Dieser Abend gehört den Davongekommenen, ihr Tanz wogt in den Straßen. Die Menschen schleudern ihre Köpfe, werfen ihre Arme, unbändig und wild, als kämpften Nichtschwimmer gegen das Untergehen. Johlend applaudieren sie einander und das Echo applaudiert ihnen, hin und her wird es zwischen den Häuserwänden geworfen. New Orleans feiert den Beginn der Karnevalszeit, des Mardi Gras, Mischung aus Mainzer Fastnacht und Rios Paraden. Größte Party der USA. Sechs Monate nach dem Hurrikan Katrina ist Karneval kein Spaß. Er ist ein Mittel zum Überleben. mehr  

 

The roaring of the survivors drowns out the jazz bands, despite their tubas and trombones. Shouts trumpet from a thousand gaping mouths. This night belongs to the ones who escaped. The street heaves with their dancing. They fling their heads and arms violently, as if struggling not to go under. They applaud each other, hooting and yelling, and echoes applaud them in return, bouncing in all directions off the high walls. New Orleans celebrates the beginning of the pre-Lenten carnival – Mardi Gras, America’s biggest party. But six months after Hurricane Katrina, nobody parties for fun. This year’s theme: survival. more 

 

 

 
   

Risse jagen unter mir auseinander, krachend schießen sie in alle Richtungen. Andere kommen aus weiter Ferne auf mich zu, wie rasende Blitze, und spalten plötzlich den Grund unter mir. Ich gehöre nicht in diese Welt, denn niemand gehört hierher. Immer tiefer führt mich der Jäger Andreas Pfnür in sie hinein. „Niemals umsehen“, rät er. „Nicht hinter dich schauen, nicht neben dir“. Konzentriert das Gleichgewicht halten. Wir sind auf Fahrrädern unterwegs auf dem zugefrorenen Königssee, über 200 Meter tiefen Wasser, Postkartenidyll sonst und Alptraum jetzt. Ziel hunderttausender Touristen und nun fast menschenleer. Über Nacht hat sich der Nationalpark Berchtesgaden den Menschen verschlossen. Er ist das raueste aller deutschen Schutzgebiete. Das ist sein Reiz und sein Problem. Eine Reportage über den Nationalpark Berchtesgaden. mehr  

 

Where I pass, cracks rocket in all directions. Others come from afar, fast as lightning, in the form of sudden crevasses. I don’t belong in this world – and neither does anyone else. The gamekeeper Andreas Pfnür spurs me on into its depths. “Don’t look around,” he counsels. “Don’t look back, and don’t look to the side.” Concentrate on keeping your balance. We are on bicycles, crossing frozen Lake Königssee. Below the ice, the water is 650 feet deep. In warmer weather, a picture-postcard idyll – right now, more of a nightmare. Hundreds of thousand of tourists come here, but we are virtually alone. Berchtesgaden National Park has driven out the interlopers overnight. The harshest of all German nature reserves: That is its appeal, and its problem. more 

 

 

 
   
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