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Der Wahnsinn verbreitet sich wie eine Epidemie, ist von Mensch zu Mensch übertragbar, eine Pestilenz, die vor etwa zehn Jahren im Südosten Nigerias ausbrach. Nie zuvor hat es sie in Akwa-Ibom gegeben. Sie begann in einzelnen Dörfern, hier und da, streute rasch und fraß sich seither in ganze Regionen. Die Eltern führen Krieg gegen ihre eigenen Kinder. Sie töten sie zu Tausenden. Die Liebe zu ihnen verkehrt sich in Hass. "Hütet euch vor den Hexen-Kindern!", brandpredigen evangelische Pastoren. Jeden Tag infizieren die Priester die Menschen neu. Dieses Drama ist auf keiner UN-Dringlichkeitssitzung vertreten. Kein Menschenrechtsgerichtshof ergreift Partei. mehr 

 

The madness spreads like an epidemic, transmissible from one individual to another, a pestilence that broke out roughly ten years ago in Nigeria's southeast. It was unknown in Akwa-Ibom before then. It emerged in scattered villages here and there, spread rapidly, and has now eaten its way through entire regions. Parents declare war on their own children. They kill them by the thousands. The love they feel for them turns to hatred. "Beware the witch children!" the fire-and-brimstone preachers say. Christian community leaders re-infect the populace daily. The drama is not the subject of urgent Security Council meetings. No Court of Human Rights steps in to take sides. more

 

 

 
 

"Du bist ein Nichts", sagt der Junge zum Präsidenten. Der Satz fällt plötzlich, die Gespräche im Raum verstummen. "Du bist ein Niemand", sagt der 19-Jährige mit ruhiger Stimme, den Blick fest auf das Staatsoberhaupt gerichtet. Er sitzt ihm im Amtszimmer gegenüber, hager und sehnig, die Fäuste presst er auf die Schenkel. "Du hast mir nichts zu sagen. Du wagst es nicht. Denn wenn ich will, nehme ich mein Gewehr und bringe dich auf der Straße um." Die beiden Männer starren sich an. Der Präsident öffnet den Mund, will antworten, zögert aber. Er schließt die Augen. mehr 

 

"You are nothing," the young man says to the president. The sentence comes suddenly. Conversation in the room falls silent. "You are a nobody," the 19-year-old goes on, his voice steady, his gaze fixed on the head of state. He sits opposite him in his office, gaunt and sinewy, his fists pressed on his thighs. "You have nothing to say to me. You don't dare. Because if I feel like it, I can take my gun and kill you on the street." The two men stare at each other. The president opens his mouth, wants to answer, but something stops him. He closes his eyes.more

 

 

 
 

Libyenkrieg, 1. Woche. Der Generalmajor will im gewohnten Offizierston von dem erzählen, was auf seiner Basis während der vergangenen Tage passierte, er setzt mehrfach an. Dann legt er den Kopf auf die Schreibtischplatte und wendet sich ab. Der General weint. mehr  

 

Libyenkrieg, 2.Woche. Der Krieg ist in diesen ersten Tagen ein wildes Vorwärtsschieben, ein an die Front Drängeln, ohne Plan. Der Sieg ist hier so tödlich wie die Niederlage.mehr  

 

Libyenkrieg, 5. Woche. Die Luft stößt aus dem Rachen von Abdul Essa El-Mohoshhash, sie entweicht ihm mit einem Zischen. Ein Arzt drückt die überkreuzten Handballen auf den Brustkorb des 20-Jährigen, Stoß für Stoß, im Sekundentakt, immer wieder, seit einigen Minuten, bis er nicht mehr kann.mehr  

 

War in Libya, Week 1. The major general wants to say what has been happening at his base during the past few days in the accustomed tone of an army officer. He begins several times. He lays his head on the desktop, turns his face away. The general is crying. more 

 

War in Libya, Week 2. The war in these first days is a wild surge forward, a crowding toward the front, without a strategy. Victory here is as lethal as defeat. more 

 

War in Libya, Week 5. Air bursts from the throat of Abdul Essa El-Mohoshhash, escapes him with a hiss. A doctor presses the crossed heels of his hands on the ribcage of the 20-year-old, thrust after thrust, over and over, for several minutes, until he is too tired to continue. more 

 

 

 
 

Das Schiff, das den einen das Leben bringt und den anderen das Verderben, legt ab, es kratzt kurz am Kai entlang, die "Ezzarouk", ein in Holland gebauter Hafenschlepper, dann löst sie sich und fährt hinaus auf die offene See. Die Reise der "Ezzarouk" ist geheim, wenige in der libyschen Hafenstadt Bengasi wissen von ihr. Dr. Sulaiman Fortia, 57, in Anzug und gebügeltem Herrenhemd, umklammert die Reling. Er kämpft mit der Übelkeit, noch mehr aber mit der Angst. "Heute wird es keine Probleme geben," sagt er und versucht ein befreiendes Lachen, was ihm misslingt. 25 junge Männer begleiten ihn, sie schlagen den heiligen Koran auf, versinken in ihm, flüstern Suren und bereiten sich vor auf ein Leben, das dem Tode folgt. Eine Reportage aus dem belagerten Misurata, wo Gaddafis Truppen wüten. mehr 

 

The ship that will bring life to some and devastation to others casts off its moorings, scrapes briefly along the wharf – the Ezzarouk, a tugboat built in Holland – then breaks free and makes for the open sea. The Ezzarouk's journey is a secret. Few in the Libyan port city of Benghazi know it is taking place. Dr. Sulaiman Fortia, 57, clings to the railing in a suit, his shirt freshly ironed. He struggles with nausea but even more with fear. "There will be no problems today," he says, attempting a smile of relief. The attempt fails. He is accompanied by 25 young men. They open the holy Koran, descend into its depths, whispering suras, preparing for the life that will follow their deaths. A report from Misrata, where Gaddafi's troops still rage.more

 

 

 
 

Sierra Leone gab den Tod seines letzten Elefanten im Herbst vergangenen Jahres bekannt. Als nächstes droht der Untergang der Herden von Mali und Niger, die nur noch aus wenigen Dutzend Tieren bestehen. Kamerun und der Kongo verlieren tausende Dickhäuter jedes Jahr. Die Bestände von Mozambique und Uganda brechen ein. Die besser geschützten Herden in Kenia und Tansania vermelden Rekordverluste. Zugleich steigt auf dem Schwarzmarkt der Wert für Elfenbein in astronomische Höhen. Wie im Altertum ist Elfenbein wieder wertvoller als Silber. Die Nachfrage aus China ist groß. Eine Reportage über das Verschwinden der letzten Elefanten. Schauplatz Tschad. mehr   

 

Sierra Leone announced the death of its last elephant in the fall of 2010. Next in line to vanish are the herds in Mali and Niger, a few dozen animals each. Cameroon and the Congo lose thousands every year. Populations in Mozambique and Uganda are collapsing. The better protected herds in Kenya and Tanzania are recording record losses. At the same time, the black market price of ivory has reached astronomical highs. As it was in the ancient world, ivory is now more valuable than silver. Demand from China is strong. A report on the disappearance of the last wild African elephants, dateline Chad. more

 

 

 
 

Das Klopfen ist leise, kaum hörbar zunächst, vorne an der Tür, dieses billiges Holzimitat aus Asien, die letzte Barriere zum Schrecken. Faten steht in der Küche, räumt Geschirr ein, erstarrt dabei. Lauscht. Ahmed, ihr Mann, sitzt im Sessel und sieht fern. Er schaltet auf lautlos, legt den Kopf schief. "Scheiße", sagt er. Das Klopfen steigert sich, wird hart und drängend. Durch die Wohnung hallen dumpfe, laute Schläge. "Scheiße", wiederholt er und reißt sich aus dem Sessel. "Wer ist das?" Er hastet mit vier, fünf Schritten an die zugezogene Gardine, hält den Kopf nah an den Stoff, um hindurch zu sehen. Blickt aus dem Fenster zur Straße, dem Fenster zum Nachbarn, dem Fenster Richtung Hof. Faten steht am Türspion, fahrig, aufgeregt, zögert einen Moment hindurchzuschauen. Da wird es plötzlich still. "Ich sehe niemanden", flüstert Faten mit einer Stimme knapp vor der Panik, Faten, die der Familie stets ein Ruhepol sein will, mit herbem Humor alle Gefahr wegzulachen sucht. Ahmed tritt zu ihr, sieht ihr kurz in die Augen, fasst sie an den Schultern und öffnet die Tür. mehr 

 

The knocking is soft, barely perceptible at first, at the front door, wood-patterned Asian particle board, the last barrier to horror. Faten stands in the kitchen, putting away dishes, turns to stone. Listens. Her husband Ahmed is sitting in an armchair, watching TV. He mutes the sound, cocks his head. "Shit," he says. The knocking becomes more pronounced, becomes hard and demanding. Loud, thudding blows resound through the apartment. "Shit," he repeats, lurching up from the chair. "Who is it?" He hurries four or five steps to the drawn curtains, holds his face near the cloth to peer through. Looks out the window toward the street, the window toward the neighbor, the window toward the courtyard. Faten steps up to the peephole, agitated, nervous, hesitates for a moment to put her eye to it. The silence comes suddenly. "I don't see anyone," she whispers in a voice just shy of panic – Faten, who wants to be the family's rock in the storm, to laugh off every danger with wry humor. Ahmed steps toward her, looks her briefly in the eye, grips her shoulder and opens the door.   more 

 

 

 
 

Er tastet im Halbschlaf nach ihr, greift um sich, von der Hitze des Nachmittags benommen. Die Knie hat Issak Aden zum Bauch gezogen. Die Finger des 55-Jährigen gleiten über das Laken, auf dem er liegt, aber sie fahren ins Leere. Sie fühlen nichts, was ihnen Halt gibt, tasten erst träge, dann hektisch, bis er sich verstört auf der Matratze hochreißt. Issak Aden blickt in den Krankenhaussaal. Es ist die zweite Woche, die er hier verbringt. Er sieht die Plastikschläuche und Beatmungsmaschinen an den Nachbarbetten, riecht den Durchfall und das Erbrochene der Kinder, das ihre Eltern fortwährend wegwischen. Es ist ganz still in diesem Saal. Die Kinder, die hier leben, schreien nicht. Issak Aden findet seine Tochter in einer Lakenfalte neben sich. Spürt die Brust des Kindes, die sich unter seiner Hand hebt und senkt. Ihre Wärme. Fardosa. "Das Paradies". So heißt ihr Name übersetzt. Sieben Monate, 22 Tage. Er beugt sich herunter und sucht ihren Blick. Seit Wochen ringt sie mit dem Tod. mehr 

 

Half asleep, he reaches out for her, grabbing in all directions, benumbed by the afternoon heat. Issak Aden's knees are pulled up to his chest. The 55-year-old's fingers sweep the sheet on which he lies. They find only emptiness. His searching fingers encounter nothing that would give them strength. They move slowly, then frantically, until finally he sits bolt upright on the mattress. Issak Aden's gaze moves through the hospital ward. It is his second week here. He regards the plastic tubing and respirators on the neighboring beds, smells the vomit and diarrhea the parents are constantly wiping away. The room is completely still. The children who live here never cry. Issak Aden locates his daughter. She is next to him, hidden in a fold of the sheet. He feels her chest rise and fall with the palm of his hand, her warmth. Fardosa. "Paradise." That's what her name means. Seven months and 22 days. He leans down toward her, seeking eye contact. For weeks, she has been wrestling with death.   more 

 

 

 
   
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