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PHOTOGRAPHIE Stanislav Krupař

Die fast unmögliche Mission

Wie ein IT-Berater aus Minnesota versucht, in Somalia einen Staat aufzubauen.

 

Du bist ein Nichts", sagt der Junge zum Präsidenten. Der Satz fällt plötzlich, die Gespräche im Raum verstummen. "Du bist ein Niemand", sagt der 19-Jährige mit ruhiger Stimme, den Blick fest auf das Staatsoberhaupt gerichtet. Er sitzt ihm im Amtszimmer gegenüber, hager und sehnig, die Fäuste presst er auf die Schenkel. "Du hast mir nichts zu sagen. Du wagst es nicht. Denn wenn ich will, nehme ich mein Gewehr und bringe dich auf der Straße um." Die beiden Männer starren sich an. Der Präsident öffnet den Mund, will antworten, zögert aber. Er schließt die Augen.

Es ist der Morgen, an dem Mohamed Aden das Parlament eröffnen will, drei Jahre nachdem er sein Einfamilienhaus im US-Bundesstaat Minnesota verlassen hat, um hierher überzusiedeln, nach Adado, Zentralsomalia, dieser feuerroten Ebene aus Stein und Knochen, die von der Welt so gründlich vergessen wurde. Stille ist in seinem Büro. Staub weht zur Tür hinein. Die beiden Minister, die sich zu einer Besprechung eingefunden hatten, der Kommandeur der Leibgarde, der mit der Hand am Pistolenhalfter im Eingang steht, sind in ihren Bewegungen erstarrt. Der 19-Jährige ist einer von 35 Bodyguards Adens, der Fahrer eines Pickups mit aufmontiertem Maschinengewehr. Er hatte den Wagen auf eigene Kasse an "Privatleute" verliehen. Deswegen hat ihn Aden herzitiert und fordert den Fahrzeugschlüssel. Er zeigt zur Tür und sagt kaum hörbar: "Raus".

Unruhig folgt er dem Jungen auf die Terrasse vor seinem Büro, schaut ihm hinterher, wie er vom Kommandeur weggeführt wird. Der Präsident ist nervös, und er bemüht sich, es sich nicht anzumerken zu lassen. "Ich werde diese Leute nie ganz verstehen." Für einige Minuten blickt er auf den Hof mit dem lagernden Kriegsvolk, den Männern in ihren Lumpenuniformen, wie sie die Kalaschnikows schmieren, im Schatten der Gebäude dösen, spielen, lachen. Er könnte nicht unterschiedlicher sein, trägt Golfmütze und Poloshirt, ist Zivilist durch und durch, und doch avancierte Mohamed Aden, 39, in den vergangenen Jahren zum Kriegsherrn. Er ist der Regierungschef des Staates Himan & Heeb, den er selber begründet hat. Eines Territorium mit 13 000 Quadratkilometern, das knapp so groß wie Schleswig-Holstein ist und sich von Äthiopien im Westen bis zum Indischen Ozean im Osten erstreckt. Aden ist das Oberhaupt einer halben Million Menschen. Ein ehemaliger IT-Student, von fülliger Statur und jungenhaftem Auftreten, der in den USA gerade sein Diplom gemacht hat, dort kurz entschlossen seine Frau und sechs Kinder zurückließ, und mit 150 000 Dollar Spenden und nur wenigen Kontakten nach Adado fuhr. Bis zu seiner Ankunft zählte der Ort zu einem der gewalttätigsten des Landes. Fernab der Hauptstadt Mogadischu arbeitet er an einem Experiment, das das Schicksal Somalias ändern könnte. Mohamed Aden schuf in dieser Gegend etwas, was kaum einer für möglich gehalten hatte, woran 20 Jahre lang sämtliche internationale Bemühungen scheiterten, die USA und die UN und alle anderen – den Frieden. Jeden Tag ringt er neu um ihn.

Hast du Angst?", fragt er mich eines Abends in seinem Regierungssitz. Ich bin Staatsgast in Himan & Heeb, umsorgt wie ein Kronjuwel. Der Präsident hat zu meinem persönlichen Schutz 25 Milizionäre aus verschiedenen Städten seines Reiches abgezogen. Ich mache keinen Schritt ohne sie. Fünf Sicherheitsringe umgeben mich, gestaffelt in uniformierte Soldaten und Geheimpolizisten in Zivil. Sie kontrollieren Haupt- und Seitenstraßen. Jeder meiner Spaziergänge ist eine aufwändige militärische Operation. Lange Handytelefonate zwischen drei Kommandeuren gehen ihnen voraus. "Move!", halten mich meine bewaffneten Freunde zur Eile an. "Move!" Wenn ich mich umdrehe, sehe ich zwei Pickups mit großkalibrigen Maschinengewehren, "Technicals", die mir im Schleichtempo folgen.

Ich bin von Deutschland aus drei Tage unterwegs gewesen, zwei davon verbrachte ich in Flugzeugen, in großen, kleinen, ganz kleinen, den dritten in einem bewaffneten Konvoi, der mich schließlich in das Reich von Mohamed Aden brachte. Himan & Heeb, was "Land und Wasser" bedeutet, will kein unabhängiger Staat sein, ist es aber de facto. Die Übergangsregierung in der Hauptstadt Mogadischu kämpft gegen die radikalislamistische al-Shabab ums Überleben und kontrolliert nur noch wenige Straßenzüge. Unterstützung von dort kann Mohamed Aden nicht erwarten. Seine Basis ist das Siedlungsgebiet des Clans der Saleban. Nicht weit im Süden herrscht al-Shabab, im Osten liegen die Hochburgen der Piraten. "Wir leben wie auf einer Insel," begrüßte er mich lachend in seinem Büro, "und drumherum sind die Haie."

Der Untergang Somalias ist eine der heftigsten Erschütterungen, die den afrikanischen Kontinent je heimgesucht haben. Die Katastrophe jährt sich zum 20. Mal, sie begann am 26. Januar 1991 mit dem Sturz des Diktators Siad Barre und setzt sich seitdem fort. Die Republik Somalia zerfiel in viele Bruchstücke, und die Bruchstücke zerfielen erneut. Immer tiefer versank das Land in den Strudel der Unregierbarkeit. Die Feinde des Diktators, die ihn besiegten, Stammesführer und Generäle, wurden sich selber zu Feinden. Die Hauptstadt Mogadischu, einst eine Schönheit am Indischen Ozean mit begünstigtem Klima und Traumständen, begann sich aufzulösen, in Mörtel und Putz, in Stein und Staub. Die Kiefer der Gewalt mahlten in wechselnde Richtungen und schliffen den Ort zur endzeitlichen Trümmerstätte. Es starben in 20 Jahren bis zu eine Million Menschen, 700 000 flohen ins Ausland und 1,55 Millionen innerhalb der Grenzen. Die vier großen Clans, deren traditionelle Strukturen das Land einst lose zusammenhielten, zerbrachen in 18 regionale Subclans, die wiederum in 51 Subsubclans zerstoben. Es gibt dem "Terror Risiko Index" zufolge keinen Ort auf der Welt, an dem die Gefahr größer ist, Opfer von Terrorismus zu werden.

Er habe nichts von all dem geplant, sagt der Staatschef, es sei nur das eine zum anderen gekommen. Der Sohn eines Mechanikers aus Mogadischu wollte in den USA nach dem Studium gutes Geld verdienen. Hart hatte sich Aden seinen sozialen Aufstieg in den Staaten erkämpft, war als 20-Jähriger aus Somalia über Nairobi nach Miami geflohen. Schlug sich durch in Obdachlosenheimen in Florida, arbeitete später als Parkeinweiser und Nachtschichtler in Minnesota. Nirgendwo in den USA leben so viele Somalis. Wie Magnetspäne ziehen sie sich in der Fremde an, 50 000 zählen sie inzwischen, und viele verlieren sich in Alkoholismus und Depression. Die Kriminalitätsraten sind hoch. Aden hingegen rackerte, erhielt Stipendien, holte seine Highschool-Liebe aus Mogadischu nach, bekam fünf Kinder, gründete nach dem Studium ein kleines IT-Beratungsunternehmen. Als er im Herbst 2007 zum ersten Mal nach Adado reiste, in die Geburtsstadt seines Vaters, beabsichtigte er zunächst, nur zwei Wochen zu bleiben. Zusammen mit vier US-somalischen Freunden hatte er bei einer schweren Hungersnot helfen wollen. Dabei dachten sie an das Bohren von Brunnen und Verteilen von Lebensmitteln. Doch sie sahen, dieses Land braucht so viel mehr.

In den ersten Monaten lösten sie auf der Hauptstraße Adados das Dutzend Checkpoints auf, indem sie die Wegelagerer bezahlten und sie zu Polizisten machten. Die Ältesten der Stadt hatten die Heimkehrer gebeten, Verantwortung zu übernehmen. Aden führte Steuern auf Ziegen und Kamele ein, um die Gehälter zu finanzieren. "Das hat uns anderthalb Jahre gekostet, bis die Leute das akzeptierten. Die wussten einfach nicht, was Steuern sind." Er gründete ein Distriktgericht und ein Stadtgericht, verbot das Lynchen, baute ein Gefängnis, ließ das Tragen von Gewehren in der Öffentlichkeit untersagen. Zahlte hier, drohte dort, beendete den Teufelskreis der Blutrache, indem er aus der Staatskasse die Angehörigen getöteter Einwohner entschädigte. Es half auch, dass er das Vertrauen der somalischen Diaspora genießt. Sie spendete Millionen. Aden ließ damit für jeweils 150 000 Dollar 20 Brunnenschächte bohren, um die schlimmsten Verteilungskämpfe unter den Nomaden zu beenden. Vom ersten Tag an, erzählt er, bekam er Todesdrohungen. Er blieb trotzdem, als Einziger von den vier Freunden. "Die USA vermissen mich nicht", sagt er. "Die haben viele gut Ausgebildete wie mich. Aber hier kann ich einen Unterschied machen." Der IT-Mann will sich bewähren, alles riskieren, um viel zu gewinnen, um nach einigen Jahren eine gute Position in einer internationalen Organisation oder der somalischen Regierung einzunehmen. Er ist aber auch Idealist, sagt Dinge wie: "Ich bin bereit mein Leben zu opfern, wenn ich viele andere retten kann." Solche Sätze klingen überall pathetisch, nicht aber hier in Himan & Heeb.

Er tritt heute seine zweite Amtsperiode an. Aden konnte in der Nacht nicht schlafen, dieses Kopfweh, sagt er. "Beeil dich", ruft der Parlamentssprecher von draußen, "komm, komm", eine Gruppe alter Männer wartet bereits vor dem Büro, sie drängen mit ihren Köpfen hinein, es ist für Himan & Heeb ein großer Tag. Er faltet den Zettel, auf dem er hastig seine Antrittsrede notiert hat, sieht ein letztes Mal in den Spiegel, betrachtet sein Gesicht, klagt, dass es härter geworden sei in letzten Jahren, sprintet dann über das Gelände des Präsidentensitzes. Der Gebäudekomplex ist so neu wie der ganze Staat, umgeben von Steppenstaub glänzt das "Statehouse" in frischen Zuckerbäcker-Farben. Blaues Dach, grün-rosa-gelb-blaue Fassade. Hier sind das Amtszimmer untergebracht, seine Wohnung, die aus nur einem Zimmer besteht, einige Gästekammern und ein Kabinettssaal. Zwei alte russische Panzer stehen zur Abschreckung davor, besprenkelt mit dem Kot der Soldaten.

Die Augen Hunderter Menschen wenden sich ihm zu, als er die Versammlungshalle betritt, die Ältesten mit ihren brandroten Bärten, die ihn einst baten, eine Verwaltung aufzubauen, die Vertreter der Jugend, für die er so anders ist als die Milizführer, die sie kennen. Nahbar und jovial. Es sitzen Abgesandte mehrerer Stämme im Publikum, die sich bis vor Kurzem mit dem Clan der Saleban bekriegten. Der Sprecher der größten Piratengruppe in der Region nimmt ebenfalls an der Zeremonie teil. Auch die Seeräuber profitieren von der neuen Stabilität in Himan & Heeb. Dessen Hauptstadt Adado ist ihre Kinderstube, viele von ihnen kommen von dort. Hier leben ihre Eltern, hier ziehen ihre Frauen den Nachwuchs auf. Die Piraten sind die Schattengesellschaft, die alles durchdringt. Die Männer leben die meiste Zeit an der Küste und auf hoher See, aber in den "Ferienmonaten", wie die Einwohner der Stadt sagen, wenn die Monsumstürme den Ozean peitschen, die Wellen zu hoch schlagen, kehren sie in die Heimat zurück. Eine Stunde lang werden alle Teilnehmer der Zeremonie den Frieden und den Aufschwung loben. Der Radiosender BBC Somalia überträgt. Es gibt keine Misstöne. Die Delegationen preisen die Art, auf der die sie gepriesen wurden. "Ein großartiger Tag", ist Adens Berater überschwänglich, als sie anschließend im Büro sitzen. "Es wurde nicht geschossen. Wir müssen Allah danken!"

Der Präsident nimmt zwei Schmerztabletten, geht heute früh zu Bett, für den Rest des Tages bleibt seine Tür geschlossen.

Die Sonne senkt sich über die neuen Blechdächer der Stadt, im letzten Licht der Dämmerung leuchten sie silbern. Um mehr als zwei Drittel ist Adado gewachsen, seit es Regierungssitz ist. Ein regelrechter Bauboom hat den Ort erfasst, der planlos in die Steppe wuchert. Fast alle Gebäude sind neu, braune Lehmwürfel mit Metallhauben, sie stehen bezugslos zueinander, ohne Straßen, ohne Programm. Wie der Abdruck einer Schrotladung wirkt die Stadt aus der Luft, so sehr ist die Gegend von Häusern gemasert. Wohlhabende und Habenichtse aus ganz Somalia suchen Zuflucht in der bisher unbedeutenden Gemeinde, die von 40 000 Einwohnern auf 120 000 anschwoll, immer mehr treffen ein, sie haben gehört, es gebe keine Kämpfe hier. Jeden Tag entsteigen Neuankömmlinge den Überlandbussen aus Mogadischu.

Die Ärmsten hausen am Ortsrand unter Gerippen aus Ästen, die sie mit Plastiktüten und Fetzen alter T-Shirts bedecken. Es sind vor allem Frauen, viele verloren ihre Männer im Bürgerkrieg, sie erbetteln sich das Essen. Die Reicheren leisten sich Villen im Zentrum, sie bauen Läden, Werkstätten und Restaurants, das "Hayi" etwa, was Leben heißt und dem älteren Bruder meines Übersetzers gehört. Abdulsalaam, 25, Lehrer. Der hielt ursprünglich nicht viel davon, für mich zu übersetzen, aber der Präsident redete ihn gut zu. Seine Familie hatte jahrzehntelang ein Lokal am Automarkt in Mogadischu besessen, sie war vieles gewöhnt, doch die aufbrandenden Kämpfe der letzten Monate haben sie vertrieben. Sie mieteten einen Lkw, verstauten ihr Inventar und zogen in das verheißene Land von Mohamed Aden. "Unsere Kunden schafften es nicht mehr in das Restaurant", klagt der Bruder, dessen rechte Hand von Kugeln zertrümmert wurde. "Ich habe einmal beim Essen auf einen Granatsplitter gebissen", sagt lachend mein Übersetzer. Er lacht viel. Er lacht bei Witzen lange vor der Pointe. Je hochgestellter ein Gesprächspartner ist, desto früher lacht er. Er lacht oft schon, wenn er nur wittert, jemand könnte gleich einen Witz erzählen. Damit kam er bisher gut durchs Leben.

Als sich die Tür des Präsidenten am nächsten Morgen öffnet, wischt er mit seinem Feinripp-Unterhemd den Staub von der Schreibtischplatte. Ihm bleibt keine Zeit für Förmlichkeiten, der Tod treibt ihn voran. Die schwerste Dürre seit 1974 hat Zentralsomalia erfasst, das Vieh der Nomaden stirbt millionenfach. Es gibt nur wenige internationale NGOs, die in diesem Gebiet zu arbeiten wagen, die UN reagiert zu langsam, und alle Last der Katastrophe liegt plötzlich auf dem zarten Staatsgebilde von Mohamed Aden. Bittsteller quetschen sich in sein Büro, walken beim Reden ihre Hände. Das iPhone des Präsidenten klingelt unentwegt, aufgeregte Stimmen bringen ihm schlechte Nachrichten aus entlegenen Dörfern. Er hat den Verteidigungsminister mit einer Untersuchungskommission an die Küste entsandt, wo die Lage am schlimmsten sein soll. Das Büro von Mohamed Aden ist ein Ein-Mann-Krisenzentrum. Alles, was er in den vergangenen Jahren erreicht hat, steht in diesen Tagen wieder auf dem Spiel. Zugleich sind an der Grenze zum Nachbarstaat Galmudug Kämpfe zwischen den Saleban und Sa`ad ausgebrochen. Die Nomaden beginnen sich gegenseitig an den Brunnen zu massakrieren. 120 Menschen sind bereits gestorben, die Grenzstadt Galinsor ist zerstört. Mörser und Maschinengewehre haben im Ort tiefe Krater geschlagen.

Über das gesamte Territorium von Himan & Heeb droht die Dürre alte Konflikte aufbrechen zu lassen, sie öffnen sich wie Risse auf trockenem Schlamm. "Das Sterben beginnt in wenigen Tagen", berichtet ihm der Älteste eines Dorfes, der mit einer fünfköpfigen Delegation 400 Kilometer zurücklegte, zu Fuß und auf dem Lkw, um die Regierung um Hilfe zu ersuchen. "Ich bin 65 Jahre alt und habe eine solche Dürre noch nicht erlebt." Er vertritt 300 Menschen, die mit ihren Kamelen und Ziegen ihr Dorf verließen, auf der Suche nach Wasser einen Monat durch die Steppe zogen, bis sie in einem anderen Ort aufgenommen wurden. Wie es Brauch ist unter Nomaden. "Unsere Tiere sind zu schwach, um weiterzugehen", sagt er. Jetzt aber schwänden die Wasserreserven und Lebensmittel ihrer Gastgeber. Auch sie sind mit fünf Ältesten im Büro von Aden vertreten. "Ihnen geht es mittlerweile genau so schlecht wie uns." Die Vertreter beider Dörfer fürchten, dass Kämpfe ausbrechen, wenn es schlimmer wird. Aden verspricht ihnen auf Staatskosten vier Wassertrucks zu schicken und eine weitere Untersuchungskommission zu entsenden. Er weist die Ältesten der Flüchtlinge an, ihre Waffen vorläufig dem Polizeiposten zu übergeben. Mehr könne er nicht tun. Ihm fehlen die Mittel. Die Ältesten erzählen beim Gehen, dass ihr Dorf Laba-baar heißt, zwei Vogelschwingen, benannt nach dem großen alten Baum in der Ortsmitte, dessen Form an ein Flügelpaar erinnert. Vor einigen Wochen ist er verdorrt.

"Was machst du, wenn du nicht schlafen kannst", fragt mich der Präsident. Er sitzt wieder alleine in seinem Büro, fährt sich über die Augen, starrt in den Apple Laptop. Dieses Gerät ist Herz und Hirn von Himan & Heeb. Die innere Heimat des studierten IT-Managers, das Glück, das er für sich als 20-Jähriger im Asyl entdeckte. Nie wirkt er zufriedener als in den Momenten, in denen er die Software neu konfiguriert. Er trägt den Laptop stets mit sich, auf ihm speichert er Familienbilder genauso wie den Entwurf zum Staatshaushalt 2011. Darüber brütet er an diesem Nachmittag. Etwas spät, gibt er zu. "Ich wollte nach Nairobi zu einem Fortbildungskurs 'Wie erstelle ich einen Haushalt', musste das aber absagen." Die Dürre, fügt er an. In zwei Tagen soll er den Entwurf im Parlament einreichen, um ihn sich genehmigen zu lassen.

   

Er kratzt sich an der nackten Fußsohle, während er den Computer über den Schreibtisch schiebt. Himan & Heeb mit 500 000 Bewohnern nimmt 500 000 Dollar ein. Das ist in etwa soviel, wie in Deutschland die Stadt Reutlingen jährlich für die Ausbesserung von Schlaglöchern ausgibt. 34 800 Dollar kassiert Aden über Steuern. Der Rest sind Mieten, Lizenzen für den Betrieb von Geschäften und Spenden der Diaspora. 70 Prozent der Einnahmen verwendet er für Waffen und Milizionäre. "Ich muss mich auf meine Muskeln konzentrieren", sagt er. "Ohne Muskeln kannst du hier nichts bewegen." Die Bildung in seinem Staat hingegen kommt ihm billig, es gibt nur drei Schulen, und die sind von Privatleuten aus dem Ausland finanziert. "Wir hatten 20 Jahre lang keinen Unterricht", klagt Aden. Mittlerweile besuchten ihn fünf Prozent der Kinder. Auch das Gesundheitswesen belastet den Haushalt nicht. Es gibt in Himan & Heeb kein funktionierendes Krankenhaus. Der Präsident tippt bis in den späten Abend Zahlenkolonnen in das iPhone. Er ist sein eigener Finanzminister, Buchhalter und Rechnungshof. Gelbe Durchschläge von Schecks bedecken den Tisch, Benzinquittungen, Lohnzettel, Ersatzteile für die Pickups, immer wieder verrechnet er sich, "Scheiße", murmelt er von Zeit zu Zeit, die Sache ist kein Vergnügen.

Die Karte Somalias sortiert sich neu, alle paar Monate gibt sie sich ein andere Gestalt. Doch in der Ursuppe von Chaos und Anarchie tauchen allmählich Umrisse von festeren Formationen auf. Im äußersten Norden hat sich Somaliland gegründet, eine halbwegs taugliche Demokratie, die sich vom Rest lösen will. Die Wirtschaft boomt, der Präsident wurde abgewählt und machte klaglos Platz für einen Nachfolger. Es schließt sich die Piratenhochburg Puntland an, weiter im Süden rief sich der Staat Galmudug aus mit dem Clan der Sa`ad als Basis. Dessen südlicher Nachbar wiederum ist das Himan & Heeb des Saleban-Clans von Mohamed Aden. Er grenzt an die "Ahlu Sunna wal Jamaa", auf groben Karten nur mit dem Kürzel "ASWJ" gekennzeichnet. Die übrigen zwei Drittel Somalias hält die al-Shabab, die beständig versucht, ihren Einfluss auszuweiten. Alle diese Reiche verhalten sich zueinander wie Lavaschollen auf flüssigem Magma, sie krachen zusammen, drücken sich gegenseitig in die Tiefe. Jeder ringt mit jedem. Himan & Heeb hat in den drei Jahren seiner Existenz bereits zwei Invasionen erlebt. Die kleinen Scharmützel der Nomaden nicht mitgerechnet. Sie sind wie Blitze, die in Gewitternächten über die Steppe zucken.

Das Klingeln des Handys weckt mich in der Gebetspause in meiner bewachten Unterkunft, ich nehme ab, vernehme ein Zischen auf Somalisch. Es klingelt wieder, bald alle paar Minuten, stets die zwei gleichen Nummern, schließlich höre ich einen einzigen Satz auf Englisch. "Wir werden dich töten." Ich reiche das Telefon meinem Übersetzer, der. Er mit den Anrufern redet, ein paar Mal nickt. Als er auflegt, erklärt er mir mit ausdruckslosem Gesicht: "Das war jemand von al-Shabab. Sie sagen, sie wissen, wo du bist. Sie wissen, wo du schläfst." Al-Shabab, "die Jugend", wie sie übersetzt heißt, predigt den Dschihad, paktiert mit al-Kaida und rekrutiert Gotteskrieger aus der ganzen Welt. Ihre Herrschaft ist die der streng ausgelegten Scharia, Musik ist verboten, Zigarettenrauchen, das Fußballspiel. Der Ehebruch wird mit Steinigung bestraft. Ich bin aus Sicht der al-Shabab ein Ketzer und jeder, der mit mir zusammenarbeitet. Nach kurzer Pause erkundigt sich mein Übersetzer mit der technischen Neugierde eines Insektenforschers: "Und, fürchtest du dich jetzt?"

Im Büro des Präsidenten bricht dessen politischer Berater in brüllendes Lachen aus. "Ein Witz! Da erlaubt sich jemand einen Scherz." Mohamed Aden lacht nicht. Er notiert sich die Nummern und schickt damit den Chef der Leibgarde zum Betreiber des lokalen Handynetzes. Telefonterror ist System im Kampf der al-Shabab, die ein dichtes Spitzelnetz unterhält. Sie belagert auf diese Weise politische Gegner, zermürbt sie; mit dem bloßen Klingeln von Mobiltelefonen jagte al-Shabab bereits Tausende aus dem Land. Nach Adado haben die Islamisten vor drei Monaten ein Killerkommando geschickt. Die vier Mann führten eine Namensliste mit sich, auf der angeblich auch der von Mohamed Aden stand, erschossen vier Menschen in ihren Häusern, darunter einen Parlamentarier. Die frisch aufgebaute Polizei stoppte sie, tötete zwei, inhaftierte zwei andere, ließ sie dann gegen den Willen ihres Präsidenten frei und übergab sie dem Mob auf der Straße. Der prügelte auf sie ein, bis sie starben.

"Häng hier nicht so rum!", herrscht Aden vor dem Präsidentensitz einen jungen Milizionär an, als er mich in meine Unterkunft begleitet. "Dafür zahl ich dich nicht!" "Du zahlst mich ja gar nicht! Das macht mein Kommandeur!", herrscht der Bewaffnete zurück. "Ein Wort von mir, und der gibt dir keinen Cent mehr!", brüllt der Präsident mit dem Laptop unterm Arm.

Im Reich von Mohamed Aden führt kein Weg an ihm vorbei. Ich brauche am nächsten Tag Klopapier und frage einen der Leibwächter, ob er mir etwas besorgen könne. Er weist in Richtung Präsidialamt. "Nein", sage ich. Er beharrt darauf, also muss ich wieder zum Staatsoberhaupt gehen, mit 15 Wächtern, um nach Klopapier zu fragen. Der zuckt nicht mit der Wimper, steht auf, führt mich in seinen Wohnraum hinter dem Büro. Ein Doppelbett, ein Sony-Flachbildschirm, zwei Reisekoffer daneben, die seine Kleider bergen. Er lässt die Koffer immer gepackt. Macht den Kleiderschrank auf, wo vier Dutzend Klorollen lagern und drückt mir eine davon in die Hand, bevor er das Telefonat mit dem Außenminister eines der Nachbarstaaten weiterführt. Es gibt in diesem Land einfach nichts, was nicht in den Zuständigkeitsbereich des Präsidenten fiele.

   

Der Staat Himan & Heeb ist bisher mehr Idee als Fakt. Die wichtigsten Machthaber in diesem Ort bleiben unsichtbar. Ihnen weicht Mohamed Aden aus und meidet die Konfrontation, die er nicht überleben würde. "Du kannst nicht alles auf einmal machen", sagt er in der Stadt, in der es so gut wie keine jungen Männer gibt, weil die meisten an die Küste zogen. Dort liegen derzeit 44 Schiffe mit mehr als 700 Geiseln unterschiedlichster Nationen an der Kette. Die Seeräuberei gilt als eine der Haupterwerbs-Quellen der Gegend. 40 Prozent der Lösegelder, die weltweit Versicherungen an somalische Freibeuter zahlen, schätzt Aden, finden ihre Bestimmung in der Steppe von Himan & Heeb. Das Kräfteverhältnis zwischen der Verwaltung, die 250 Bewaffnete in Sold hält, und dem zehntausendköpfigen Piratentum ist jämmerlich ungleich. Die Auslösesummen stiegen ständig, klagt Aden. Sie seien pro Schiff von anderthalb Millionen Dollar vor zwei Jahren auf inzwischen sechs Millionen geklettert. "Ich habe gehört, dass die allein im November 32 Millionen bekommen haben." Das Geld erdrücke ihn, raube der Verwaltung alle Autorität. Es weicht das Fundament seines Staates auf, noch bevor es ausgehärtet ist.

Der Übersetzer, der eigentlich Lehrer ist und eine ehrliche Haut, wie er betont, lauscht den Erzählungen der Piraten mit Hingabe. Er sitzt mit ihnen im Restaurant seines Bruders und nippt am Kaffee. "Eine anstrengende Arbeit", sagt er mitfühlend. Die seien monatelang auf See und die meisten würden dabei niemals auch nur ein Schiff zu Gesicht bekommen. Jeder zweite sterbe in den Booten, die Jungs seien unerfahren und könnten nicht schwimmen. Denn das hätten sie in der Steppe Adados, wo sie herkommen, nicht gelernt. Etliche, die er kennt, hätten Kollegen verloren, weil ihnen plötzlich die Außenbord-Motoren ausgefallen seien. Ein 18-Jähriger habe ihn neulich bei einem Kaffee erzählt, wie er dabei war, als ein Boot an die Küste getrieben wurde. Fünf mumifizierte Leichen fanden sie darin. Verdurstet auf dem Meer, das ihnen zur Wüste wurde. "Wir essen unsere Kleidung", sagen sie ihm. "Wir essen unsere Schuhe." Das alles nähmen die vielen in Kauf, weil es die wenigen gebe, die mit Seeraub ein Vermögen machten. "Frauen", flüstert mein Übersetzer. Die Küste von Himan & Heeb sei neuer Anziehungspunkt für Huren aus ganz Ostafrika. "Alkohol," sagt er, ein Wort, dass er furchtsam flüstert. Es ist sonst in dieser streng konservativen islamischen Gesellschaft ein großes Tabu. "Alkohol" klingt in somalischen Ohren wie "Autobombe" in europäischen.

Der Präsident gesteht ein, dass der Frieden, den er nach Adado brachte, auch den Piraten hilft. Auch sie wurden früher Opfer von Checkpoints und Nomadenüberfällen, weshalb sie selten die Küste verließen. "Sie sorgen in der Stadt für immer mehr Ärger", sagt er. "In ihren Ferien lasse ich die Polizei dreimal so viel Patrouillen fahren." Die Restaurants Adados verwandelten sich dann zu Orten der Ausschweifung mit Schlägereien und Saufgelagen. Ungern erwähnt er, dass die Stadt von den Piraten auch bedeutend profitiert. Viele der neuen Häuser, über die sich der Präsident auf seinen Rundgängen so freut, die er sich in niedergeschlagenen Momenten ansieht, wenn er wieder fast aufgeben will, sind mit Lösegeldern gebaut. "Vielleicht fünf Prozent", sagt er. Andere schätzen den Anteil eher auf 40 Prozent. Das schönste Hotel im Ort, das bald eröffnet wird, Hotel Medina, ein Hauch von Dubai, ist das Investitionsprojekt einer Piratengruppe. Munkelt man. Als Gäste werden Geschäftsleute und Handwerker, Drogenhändler und Waffenschieber erwartet. Mitten im Ort bauen die Piraten an einem Krankenhaus, die Grundmauern stehen schon, um zu beweisen, dass sie etwas für ihre Heimatstadt tun. Doch seit einigen Wochen sind die Arbeiten eingestellt, ihnen scheint das Geld ausgegangen. Die Kranken der Stadt warten seither auf einen neuen Fang.

Das Ansehen der Seeräuber steigt in ihrer Heimat in dem Maße, in dem sie ihr Handwerk lernen. Es sind nicht mehr nur die kleinen Holznachen, in der sie ihre Beute jagen. Sie sind mittlerweile im Besitz größerer Frachter, die schneller fahren und weiter ausgreifen. Ihren Aktionsradius haben sie bis fast nach Indien erweitert. Sie besitzen GPS, verfügen über Verbindungsleute in Reedereien und Schiffsbehörden in Kenia und Dubai. Sie kennen oft Größe der Besatzung, Art der Fracht und die genaue Route des Schiffes. Ein ehemaliger Admiral der somalischen Marine, ausgebildet in Italien und Russland, soll von der Küstenstadt Hobyo aus die Piraten nautisch beraten und fünf Prozent der Lösegelder einziehen. Einige Piratengruppen haben sich zu Konsortien zusammengeschlossen und Banken gegründet, die Kredite zu niedrigen Zinsen vergeben. Hätte er 800 Mann extra, sagt Präsident Aden, würde er den Kampf gegen sie aufnehmen. Nur einen Bruchteil der Summen, den die EU und USA in die Patrouillen ihrer Kriegsschiffe vor der Küste investierten, bräuchte er. Das Problem, sagt er, ließe sich nicht auf See lösen, nur an Land, in Himan & Heeb.

"Ich wurde auch schon von ihnen gefragt, ob ich für sie arbeiten will", berichtet mir stolz mein Übersetzer. Einen Jahreskontrakt für 200 000 Dollar hätten sie ihm angeboten. Er habe zwischen Geiseln und Piraten übersetzen sollen. "Ich hab natürlich abgelehnt", fügt er an. "Ich bin ein guter Mensch." Er lacht, ich lache. Darauf wette ich mein Leben.

Die Weltgemeinschaft nimmt von den neuen Staaten Somalias nur wenig Notiz. Die USA und Europa sind auf die Unterstützung der Übergangsregierung in Mogadischu fixiert, von der nicht mehr als ein paar Häuserblöcke geblieben ist. So unterhält auch die deutsche Diplomatie noch nicht einmal informelle Kontakte zu Staaten wie Himan & Heeb. Auf die Frage, ob erwogen werde, Kontakte aufzunehmen, antwortet eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes mit der dreimaligen Wiederholung der Aussage: "Die Bundesregierung unterstützt die territoriale Integrität des Landes". Die nichts anderes mehr ist als eine Illusion. Ein weiteres Mal droht in Somalia die Diplomatie zu versagen.

Für den Tag, an dem sich Leben und Tod berühren, hat Mohamed Aden auf dem Hof des Regierungssitzes ein Drittel seiner Streitkräfte versammelt. Hektisch werfen die Milizionäre die Patronengurte über die Schultern, satteln Maschinengewehre auf. Die Friedenskommission der Saleban wird 40 Kilometer weit aus der Stadt fahren, um an der Grenze zum Staat Galmudug die Delegation der Sa`ad zu treffen. Nach vier Monaten und 120 Toten möchten sie den Scharmützel-Krieg mit den nördlichen Nachbarn beenden. "Galmudug und wir verstehen uns bestens", sagt Aden, "wir telefonieren jeden Tag. Aber die Nomaden hören nicht immer auf ihre Regierungen." Heute ist das fünfte Treffen der Kontrahenten, bei einem ähnlichen vor Jahren erschossen die Sa`ad vier der Friedensschlichter. Das ist allen noch in Erinnerung, als sie den Verhandlungsort erreichen, eine Moschee im Niemandsland. Innen hocken 50 Stammesführer auf Plastikmatten. Der Bau ist fensterlos, das Licht diffus.

Es läuft von Beginn an nicht gut. Die Sa´ad beschweren sich über Vorfälle der letzten Tage. "Jemand hat eines unserer Kamele ins Bein geschossen!", klagt ein Ältester mit Reibeisen-Stimme "Wir wissen nicht, wer auf euer Kamel verletzt hat", verteidigt sich ein Saleban-Sprecher. "Wir haben ein Komitee gebildet, um die Sache zu untersuchen. Als wir die zu euch schicken wollten, habt ihr auf die geschossen." In der Pause wird Tee gereicht, einige schlafen.

Die Milizionäre schlendern um die Moschee, kicken mit Felssteinen und warten auf den Ausgang des Schreiens. Das Treffen schwankt über viele Stunden zwischen Klagen und Gegenklagen, Dösen und Beten, Brüllen und Besänftigen. "Ich gebe zu, es stimmt, wir haben Geld bekommen, damit wir euch bekämpfen", sagt am Nachmittag einer der Sa`ad. Der große Nachbar im Norden, Puntland, habe sie bezahlt, mit einer Million Dollar, damit sie gegen die Saleban kämpfen. "Jetzt müsst ihr aber genauso aufhören, das Geld anzunehmen!" Denn Puntland habe auch die Saleban bezahlt, um Zwietracht zu säen und beide Stämme zu schwächen. "Ich sehe euch in den Augen", brüllt ein Saleban-Ältester, "und ich erkenne, dass ihr den Frieden nicht wollt." "Brüder," ruft ein Schlichter entsetzt, "ich habe Angst, dass heute wieder neue Kämpfe ausbrechen!"

Es brechen keine aus. Es werden noch mehr Kommissionen gebildet. Ein nächstes Treffen vereinbart. Die Sa`ad ziehen sich nach Galmudug zurück und wollen untereinander ihre Politik abklären. Mohamed Aden hört den Bericht der Friedensschlichter abends in seinem Büro. "Es geht voran", sagt er, "in zwei Monaten haben wir den Frieden." Er ist da vielleicht zu optimistisch. Am nächsten Tag empfängt er die Ältesten eines Stammes der Sa`ad, er verspricht viel, drückt herzlich die Hände und stopft den Minibus der Delegation mit Khat-Bündeln. Himan & Heeb hält sich für den täglichen Khat-Flieger aus Nairobi extra eine Landepiste. Das einzige Importgut, das sein Staat in Massen bezieht: eine Droge.

Der Plan des Präsidenten ist die Wiedervereinigung aller Stämme, das Verschmelzen der Clan-Staaten zu einem großen Ganzen, um mit gemeinsamen Kräften gegen die vorrückende al-Shabab vorzugehen. "Dann können wir sie schlagen", ist er überzeugt. Er schreibt die Namen der Subclans auf ein Blatt Papier, macht ein Sternchen hinter denen, die ihm bereits bedeuteten, dass sie Himan & Heeb beitreten wollten. Will er al-Shabab denn schlagen?, fragen andere. Ist sein Vize-Präsident nicht selber einer? Warum können al-Shabab-Führer, die den Saleban angehören, Adado unbehelligt besuchen? In diesem Land steckt das Misstrauen wie in einem morschen Haus der Schwamm.

Die Kinder hat er in den letzten Sommerferien von Minnesota nach Adado geholt, es gefiel ihnen nicht. Diese Hitze, kein Cheeseburger und dann der Durchfall. Er weiß nicht, ob sie ihn hier noch einmal besuchen wollen. "Ich mach das noch drei Jahre", sagt Mohamed Aden, "dann muss diesen Job ein anderer machen." Der Präsident hat große Mühe, Interessenten für seine Regierung zu gewinnen. Piraten zahlen besser, auch die NGOs. Das Parlament gab ihn 30 Tage, sein Kabinett zusammenzustellen, er hat die Frist um weitere 30 Tage überschritten. Zu viele sagten ihm ab. Für manche Posten musste er bei sechs Kandidaten vorsprechen. Und wenn sie mal Minister sind, ist er bekümmert, dann kommen sie nicht. Er wies heute dem Kassierer an, dem Minister für Fischerei und Landwirtschaft für diesen Monat die Hälfte des Gehalts abzuziehen. Der ist seinem Amt 30 Tage ferngeblieben, aus gutem Grund zwar, wie der Präsident zuerkennt, er hat eine kranke Frau, aber eben unentschuldigt. Erst beim dritten Fernbleiben droht die Kündigung. "Du kannst die Leute hier nicht sofort entlassen", hat Aden gelernt. Die seien nach 20 Jahren Chaos nicht an feste Angestelltenverhältnisse gewöhnt. Im März will er zu einem Familienbesuch nach Minnesota fliegen. "Es ist seltsam", sagt er. "Ich vermisse in Adado den Geruch von Schnee."

Der Übersetzer geht mir am Ende verloren, er kommt morgens immer später, abgehetzt und mit Schweißperlen auf der Stirn, entschuldigt sich mit vielen Worten, er habe so viel zu tun. Dann kommt er gar nicht mehr. Es heißt, er habe eine besser bezahlte Arbeit gefunden – irgendwo.

 

 

 

 
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PHOTOGRAPHIE
Stanislav Krupař, Prag
www.krupar.com