Quarantäne

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Südkorea

Der letzte Mensch, den ich am Tag meiner Ankunft in Südkorea sehe, ist ein Mann im Schutzanzug. Er führt mich durch leere Flure. Jeder Schritt erzeugt ein schmatzendes Geräusch. Der Boden ist bedeckt mit einer klebrigen Schicht aus Desinfektionsmitteln. An einer Tür bleibt der Mann stehen und wünscht mir „Good night“. Er verbeugt sich, reicht mir eine Tüte mit Lebensmitteln, dann fällt die Tür ins Schloss.

Das Zimmer ist nicht abgeschlossen, aber ich darf es nicht verlassen. Es ist leer. Es gibt keinen Stuhl, keinen Tisch, kein Bett, nur ein Regal, in dem ich dünne Matratzen und Bettzeug finde. Es ist eine südkoreanische Tradition, auf dem Boden zu schlafen. Das Fenster ist mit einer milchigen Folie verklebt.

Niemand hat mir den Namen der Stadt gesagt, in der ich mich befinde. Ich bin am Vormittag in Seoul gelandet. Am Flughafen stieg ich mit einem Dutzend anderer Ausländer, die mit mir im Flugzeug gesessen hatten, in einen Bus. Eine Fahrt über Land von mehreren Stunden, schließlich hielt der Bus vor diesem Gebäude, in normalen Zeiten ein Ferienzentrum für Jugendliche. Bevor wir den Bus verlassen durften, besprühten sie unser Gepäck mit Desinfektionsmittel. Jetzt setze ich meinen Rucksack ab und lege mich auf den Boden.

Die meisten Staatsgrenzen sind zu Beginn dieser Reise, Mitte April, geschlossen. Schulen und Kindergärten sind seit Wochen zu, in Alaska genauso wie in Norwegen und an der Elfenbeinküste. Zahllose Fabriken haben ihre Produktion eingestellt. Milliarden Menschen harren wegen der Pandemie in ihren Wohnungen aus. Die Bilder gleichen sich, in San Francisco sieht es aus wie in Tokio. Was fast allen anderen Staaten nicht gelang, egal wie reich sie sind und wie mächtig, hat dieses Land geschafft: Südkorea. Zu Beginn der Pandemie war es neben China das am schwersten betroffene Land. Ende Februar verzeichnete Südkorea bis zu 900 Neuinfektionen am Tag. Für den 11. April, den Tag meiner Ankunft, meldete es nur noch 32. Südkorea mit seinen 52 Millionen Einwohnern hat bis zu diesem Tag 211 Corona-Tote zu beklagen. In Deutschland, das 83 Millionen Einwohner hat, sind da bereits 2544 Menschen gestorben.

Ich bin nach Südkorea geflogen, um zu lernen, wie eine Gesellschaft eine Seuche besiegen kann.

Das Reisen in Zeiten von Corona ist eine verstörende Erfahrung. In Frankfurt bin ich in eine der wenigen Maschinen gestiegen, die an diesem Tag von einem der größten Flughäfen Europas abhoben. Die Flugbegleiter trugen Schutzanzüge, die 80 Passagiere ließen den Flug weitgehend schweigend über sich ergehen. Der Luftraum zwischen Europa und Asien, bisher eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt, auf der dicht auf dicht die Flugzeuge verkehrten: nahezu leer. Der Himmel über Sibirien, der Highway der Globalisierung: verwaist. Der Flughafen von Seoul: so leer wie der von Frankfurt.

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