Roter Samt.

Zurück zur Übersicht

Nordkorea

Du stellst ihm keine Fragen. Du sprichst ihn nicht an, wenn er dich nicht anspricht“, sagt Kim Chol Ung. „Sollten wir ihm zufällig begegnen, so etwas kann passieren, dann verbeuge dich tief vor ihm. So tief, dass Rücken und Beine im rechten Winkel zueinander stehen. Rede ihn mit ›Eure Exzellenz‹ an. Wenn du dich dann aufrichtest und wieder emporblickst, wirst du in das Sonnenlächeln unseres Geliebten Führers schauen.“ Es sei ein tröstliches Lächeln, geerbt vom Vater und vom Großvater. Es gebe dem Land Hoffnung und Kraft, Millionen seien für dieses Lächeln den Heldentod gestorben.

„Ein Heineken?“, fragt Kim Chol Ung, der bewegt ist von seinen eigenen Worten. Er hebt sein Glas auf Nordkoreas Führer. Kim Chol Ung ist einer meiner zwei offiziellen Begleiter, mit denen ich an diesem Tag im Frühsommer auf dem Restaurantdeck eines neuen Ausflugsschiffes in Pjöngjang sitze. Prachtvoll und leer wie an jedem anderen Tag, seit der Geliebte Führer es bauen ließ, liegt das Schiff am Ufer des Taedong. Ich bin hierher gereist, um Nordkoreas neuen Herrscher, den „Marschall“ und „neuen leuchtenden Stern“, besser zu verstehen. Kim Jong Un. Über ihn ist nicht viel mehr bekannt als sein Name, dass er Mao-Anzüge trägt und den USA und der halben Welt mit der Auslöschung durch seine Atomraketen droht. Selbst sein Alter ist umstritten. Angeblich ist er 30.

Pyongyang, Nordkorea, Pyongyanger Folklore Park Besucher kondolieren vor der Miniatur des Mansudae Grand Monument mit den im Massstab 1:10 miniaturisierten Bronzestatuen des „Ewigen Praesidenten“ Kim Il Sung und des „Geliebten Fuehrers“ Kim Jong Il

Wer ist dieser Unbekannte, der 24 Millionen Menschen mit absolutistischer Gewalt regiert? Was hat er vor mit seinem Land?

Auf dieser Reise folge ich seinen Spuren, besuche Tag für Tag die Orte, die er besucht hat, studiere seine Taten und Werke. Deshalb sitze ich jetzt in diesem schwimmenden Palast und warte auf die Abenddämmerung.

Der Schiffsrumpf beginnt zu glühen und dann die ganze Stadt, die dunkelste der Welt, wie es bis vor Kurzem hieß. Noch vor zwei Jahren war sie auf Satellitenbildern ein schwarzes Loch. Bei meinem letzten Besuch 2005 sah ich nur wenige funktionierende Straßenlaternen. Pjöngjang war die Stadt ohne Strom. Doch nun ist Licht in der nordkoreanischen Metropole. Fenster für Fenster leuchtet auf.

Pyongyang, Nordkorea, miniaturisierte Militaerparade auf dem Kim Il Sung Platz vor dem Studienpalast des Volkes im Pyongyanger Folklore Park miniature military parade on Kim Il Sung Square in front of Grand People’s Study House at Pyongyang Folklore Park

Damals wirkte die Stadt wie ein orwellscher Albtraum, aus dem jedes private Leben verbannt schien. Plätze dienten Aufmärschen und sonst nichts. Für den Einzelnen war hier kein Raum, bloß für das Kollektiv. Jetzt durchbrechen immer mehr Glasbauten den gleichförmigen Beton, den Kim Jong Uns Vater und Großvater über die Stadt gegossen hatten. Abends erstrahlt die Skyline in bunten Neonfarben. Ein Propaganda-Schauspiel, das seine Wirkung nicht verfehlt. Meine Begleiter sehen zu mir herüber und genießen den Moment.

Fotografie: Martin Sasse
Zurück zur Übersicht