Der Deal der Diktatoren.

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Syrien

Das Gesicht des jungen Mannes ist bedeckt von Ruß und Erde. Vier ältere kurdische Frauen beugen sich über die Krankenpritsche, auf der er liegt. Sie tragen Kopftücher und Mundschutz. Eine von ihnen löst ihm die Klettverschlüsse der Sandalen. Eine zweite nimmt seine Hand in die ihre. Er hat sie zur Faust verkrümmt, sie öffnet sie ihm sanft, Erde fällt daraus. Eine dritte durchsucht seine Hosentaschen, in der sie ein Telefon findet. Das Telefon klingelt. Sie schaltet es aus. Eine vierte wäscht ihm das Gesicht mit Wasser aus einer Plastikflasche. Unter dem Dreck kommen Augenbrauen zum Vorschein, Lippen, das fast bartlose Kinn. Ein junger Mann, Anfang 20, sein Bauch aufgerissen von Dutzenden Metallsplittern.

Die Frauen im Hof des kleinen Krankenhauses im nordsyrischen Tel Tamer stecken das Handy in einen Plastikbeutel. Den Beutel legen sie ihm auf die Brust. Sie wickeln ihn in eine Wolldecke, danach in ein schwarzes Tuch, das sie mit weißen Schnüren zubinden. Dann wenden sie sich dem Nächsten zu, der aber kein Gesicht mehr hat, das sie waschen können. Wo Nase und Mund waren, klafft ein großes Loch, aus der die Zunge über den Unterkiefer hängt. Rasch verhüllen sie ihn. Es ist der zehnte Tag des türkischen Angriffs auf den Nordosten Syriens. 30 Kilometer sind die Milizen der Nationalen Syrischen Armee gemeinsam mit der türkischen Armee mittlerweile ins Land eingedrungen, nur noch wenige Kilometer stehen sie vor der kleinen Stadt. Es ist der vergangene Freitag, der erste Tag des Waffenstillstands, der am Abend zuvor in Ankara vom US-Vizepräsidenten Mike Pence und Recep Tayyip Erdoğan verkündet wurde. Fünf Tage soll er währen, doch von einem Waffenstillstand ist hier noch nichts zu spüren. Es wird weiter gestorben.

Nur einen Tag nach der Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, die amerikanischen Truppen aus dem Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung abzuziehen, begann Ankara mit massiven Luftangriffen und Artilleriebeschuss. Nirgendwo im Nahen Osten zeigen sich die Folgen von Trumps erratischen Entscheidungen so unmittelbar. Nirgendwo ist die Verwüstung, die er hinterlässt, so brutal wie hier. „Es ist Zeit, dass wir aus diesen lächerlichen nicht enden wollenden Kriegen rauskommen … und unsere Soldaten nach Hause bringen“, twitterte Trump. Nur wenige Stunden später überschritten türkische Truppen und mit ihnen verbündete syrisch-arabische Milizen die Grenze zu Syrien.

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