Ein Berg. Kahl. Felsbrocken. Steine und Sand. Die Fetzen von Plastiktüten. Nur wenige Grasbüschel. Sie sind vertrocknet. Ein steil aufragender Hang. Auf halber Höhe im Geröll eine Stacheldrahtrolle. Dahinter überall Plastikmüll. Zerrissene Tüten, die sich an Steinkanten verfangen haben. Sie zittern im Wind. Weiter oben rostige Konservenbüchsen. Zahllose leere Zigarettenpackungen. In der Nähe des Gipfels schließlich, 300 Meter über dem Tal, ist der Boden fast ganz mit Tierknochen bedeckt, weißes schmutziges Gebein, über das sich ein drei Meter hoher grauer Wall erhebt, auf dessen Spitze Leutnant Farman Ullah in Tarnuniform steht, ein kleiner Mann, die Hände in den Hosentaschen, die Schultern gekrümmt. Nachdenklich schaut er den Hang hinunter ins Dorf. „Sie planen etwas“, sagt er.
Zwei afghanische Flaggen wehen hinter Leutnant Ullah. Sie sind im Tal weithin sichtbar, Schwarz und Rot und Grün, aufgezogen auf verbogenen, viel zu dünnen Metallstangen. Farman Ullah ist der Kommandant einer kleinen Einheit aus 14 Polizisten. Junge Männer, denen gerade der Bart sprießt. Selten verlassen sie den Schutz ihrer Festung. Die ist wenig größer als ein Fußballfeld. Vier starke Mauern begrenzen sie nach allen Seiten. Drei Türme schützen sie zusätzlich. Trotzdem sieht der Polizeiposten nicht nach einer Trutzburg aus. Er ähnelt eher einer Schildkröte.
Am Fuß des Bergpostens liegt das Dorf Abdul Khel. Die Häuser der kleinen Siedlung säumen einen Flusslauf, der nur im Herbst und zur Schneeschmelze im Frühling Wasser führt. Felder bedecken den Talboden. An den Hängen hüten Kinder Ziegen und Schafe. Höher in den Bergen schlagen die Männer Holz, für das diese Gegend einst berühmt war. Die meisten Häuser des Dorfes sind von hohen Lehmmauern umschlossen. Aus einzelnen der Familiensitze ragen mehrstöckige runde Türme aus Lehm mit Schießscharten. Die Zuflucht bei Familienfehden. 3000 Menschen sollen hier wohnen. Genau weiß es niemand. Das Dorf, das Farmans kleine Truppe auf dem Berg beschützen soll, ist für ihn auch die größte Gefahr. Früher herrschten hier die Taliban, bis sie 2015 vom „Islamischen Staat“ vertrieben wurden. Seither gelang es der Regierung, die Hälfte des Ortes zu erobern. Aber der Teil von Abdul Khel, der jenseits des Flusses liegt, ist immer noch unter der Kontrolle des IS. Zweimal wurde der Posten in den letzten Jahren von Aufständischen gestürmt, zweimal wurden fast alle Polizisten getötet, 22 insgesamt. Ihre Köpfe hingen wochenlang vom Mast der Mobilfunkantenne auf dem Nachbarhügel.
„Es ist viel zu ruhig da unten“, sagt Farman auf dem Schutzwall.
Fotografie: Andy Spyra