„Den Anfang macht immer ‚bazoona‘, was bei uns im Irak ‚Katze‘ heißt. Die Männer stellen dir keine Fragen. Sie fesseln dir die Hände hinter dem Rücken mit Handschellen. Die koppeln sie an eine Kette, an der sie dich zur Zimmerdecke hochziehen. Du kannst vor Schmerzen fast nicht atmen. Du bist nackt. Sie lassen dich hängen, für Stunden. Sie nennen es ‚bazoona‘, weil du in der Stellung so dürr wie eine gestreckte Katze wirkst. Meistens folgen Schläge mit Kabeln oder Stöcken. Deine empfindlichsten Körperteile liegen bei dieser Position offen. Du bist so verwundbar. Sie verbrennen dich mit glühenden Eisen. Sie stechen dir mit Nadeln in den Hodensack und schließen sie an eine Autobatterie an. Irgendwann kugeln durch das eigene Körpergewicht die Schultern aus, bei Dickeren passiert das schneller, bei Dünneren dauert es länger. Du wirst ohnmächtig durch ‚bazoona‘, und so geht es die ganze Nacht weiter. ‚Bazoona‘ hat es im Irak immer gegeben. Es ist wahrscheinlich so alt wie der Irak.“
Saif Marwan*, sechs Jahre Haft, zuletzt im berüchtigten Kadhimiya-Gefängnis in Bagdad, im Juli 2018 entlassen
Das Gebäude des Strafgerichtshofs steht mitten in Bagdad. Nur an wenigen Tagen kann man es aus der Ferne sehen. Fast immer ist es umhüllt von einem Schleier aus dichtem Smog. Die ganze Stadt versinkt in ihm. Dem Staub aus Autoabgasen, Fabriken und dem Rauch von unzähligen Feuern, in denen die Bewohner ihren Müll verbrennen. Wachtürme thronen über dem Strafgerichtshof. Hohe Betonmauern, die Angriffe abhalten sollen, versperren die Sicht. Ein nüchterner Zweckbau. Zwei Stockwerke mit winzigen Fenstern, sandfarben von außen, ein Haupteingang mit vier hohen Säulen. Hinein führt ein langer, schmaler Gang, ohne Tageslicht, beleuchtet von trüben Neonröhren, der im Zickzack verläuft, weshalb viele sich beim ersten Mal darin verlieren. Hinter jeder Biegung sieht er so aus wie davor, ein immer gleiches Muster von identischen Türen, fast so, als habe er keinen Anfang und kein Ende.
In dem Gang eilen Menschen in gegenläufige Richtungen, hetzen aneinander vorbei, bleiben hier und da stehen, um zu grüßen oder die Richtung zu erfragen. Die meisten tragen Aktenbündel unter den Armen. Einer von ihnen ist an diesem Morgen im Oktober der stets elegant gekleidete Wathab Salem*, 33, Strafverteidiger im tintenblauen Anzug mit akkurat gefaltetem Einstecktuch. Es ist ein Sonntagmorgen, der Beginn der irakischen Gerichtswoche. Salem hastet durch den Korridor. Es hallen Rufe durch den Flur, Namen werden geschrien. Die ursprünglich weißen Wände sind bis in Brusthöhe braun verfärbt, weil sich in den Verhandlungspausen die Gefangenen niederknien und mit der Stirn dagegenlehnen müssen. Durch die Türen, die aus dem Korridor führen, dringen Stimmen, gedämpft hier, laut dort, es wird gelacht, gestritten. Nur hinter einer Tür herrscht fast immer völlige Stille – im Gerichtssaal des Richters Abdullah Suhail.
Illustration: Matt Rota