Der Fall Schnehage.

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Afghanistan

Der weiße Papierstreifen ist quer über den Bundesadler geklebt, die Flügel des Wappentiers sehen aus wie gestutzt. Das Papier ist kein Standardvordruck, die Kanten sind ungleich geschnitten. „Achtung!!! Achtung!!!“, steht darauf. „Bitte beachten Sie die Passbeschränkung auf Seite 2 und 3!!!“

„Es ist entwürdigend“, sagt Sybille Schnehage.

Den Pass hat sie aufgeschlagen auf den Tisch gelegt. In Leggings und Stallkittel sitzt sie in ihrem Wohnzimmer im niedersächsischen Bergfeld, Gemeinde Brome. Durchs Fenster sieht man den Vorgarten, in dem die ersten Tulpen blühen. Es ist Anfang April. Schnehage, 67 Jahre alt, setzt ihre Lesebrille auf und liest mit zitternder Stimme vor: „Der Geltungsbereich dieses Passes ist wie folgt beschränkt: Der Pass berechtigt nicht zur Ausreise nach Afghanistan unmittelbar oder über ein Drittland!“

Der Streifen Papier in ihrem Pass bricht mit einer fast 70-jährigen Rechtstradition der Bundesrepublik Deutschland. Der Freiheit des Bürgers, die Welt zu bereisen.

Berfgeld, Deutschland – 25.05.2018: Der Reisepass von Sybille Schneehage.

Alles in der Wohnung der Familie Schnehage erinnert an den Hindukusch, die Teppiche, die Bilder. In einer Vitrine im Flur verwahrt Sybille Schnehage die Medaillen, die ihr verliehen wurden, unter ihnen das Bundesverdienstkreuz. Seit Anfang der Neunzigerjahre hilft sie mit ihrem Verein im afghanischen Kundus. Sie ließ 32 Schulen bauen, Tausende Brunnen bohren, ihr Verein versorgt Hunderte Witwen und Waisen. Schnehage war da, als es noch keine Taliban gab, sie war da, als die Bundeswehr in die Stadt kam, sie blieb, als die Bundeswehr wieder ging. Eine kleine blonde Frau, studierte Physikerin, quirlig, in ständiger Bewegung, herzlich und rau, Mutter zweier Kinder, Mutter von fast allem, was sich ihr nicht schnell genug entziehen kann.

Sie ist an diesem Tag sehr aufgeregt, fahrig, konnte die Nacht vor dem Besuch des Reporters nicht schlafen. Im Feldherrnschritt führt sie durch das kleine Reich, das sie in ihrem niedersächsischen Dorf errichtet hat. „Die Pferde, kommen Sie! Den Stall habe ich selber gebaut.“ Der Garten mit den Papageien, die Alleen, die sie anpflanzte, eigenhändig, als sie noch stellvertretende Bürgermeisterin war. Ihr Mann Michael, ehemals bei Volkswagen, in Rente jetzt, bastelt seit Jahren in seiner Werkstatt am Trabi, während seine Frau an ihren Dörfern baut. Das eine Dorf ist Bergfeld, 897 Einwohner, das andere heißt Katachel, in der Nähe von Kundus, knapp 2000 Einwohner.

„Ich hab das zum schönsten Dorf in ganz Afghanistan gemacht“, sagt sie. Genau damit fing das Problem an.

Fotografie: Andy Spyra
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