Die Geisterschiffe.

Zurück zur Übersicht

Japan-Nordkorea

Auf das Boot meines Liebsten
geht mein Liebster an Bord,
um zum Fischen zu fahren.
Und ich rufe hinaus, wohin fährt das Boot meines Liebsten?
Ich bekomme keine Antwort.
Das Boot am Horizont, mit weißem Mast,
ist es nicht das meines Liebsten?
Ich kann ihn nicht sehen, meinen Liebsten,
weil Tränen meine Augen trüben.

(Lied nordkoreanischer Fischer, gedichtet von ihren Frauen)

Weiß sind die Wände, weiß die Regale, in denen Akten stehen, die in weißen Karton gebunden sind. Die Menschen, die hier arbeiten, tragen weiße Anzüge. Ein Raum, steril wie ein Labortrakt, so wie in vielen japanischen Gemeindeämtern. Weiße Schutzhelme hängen geordnet an den Wänden, sogar der Fußboden: ein helles Beige. Der Abteilungsleiter Kiyoshi Tanaka bringt einen Stapel Papiere an den Tisch, an dem er Besucher empfängt. In seiner Brille spiegelt sich der weiße Dampf, der hektisch aus einem Luftbestäuber quirlt. Draußen vor den Fenstern tobt ein Schneesturm, der durch die kahlen Äste niedriger Bäume weht, ein letztes Aufbäumen des Winters. Der Wind reißt an den Zweigen, hebt sie und drückt sie nieder, um sie erneut in die Höhe zu peitschen.

Coast of Sai village. Sai village’s coast line is known for its view and there are quite many tourists coming to the village during the summer though the it is also known for its very fast current and rough tide. Often they receive the garbage from North and Soth Korea, and China because of the direction of the current.

„Wir sind es gewohnt, seltsame Dinge an unserer Küste zu finden“, sagt Tanaka in der Ortsverwaltung von Sai, einem einsamen Fischerdorf aus wenigen hundert Holzhäusern. Es liegt auf Honshu, der Hauptinsel Japans, ganz oben an der äußersten Nordwestspitze. Die Küste fällt hier oft Hunderte Meter steil ab ins Meer. „Wir finden Müll aller Art“, sagt Tanaka. Er berichtet von Frachtcontainern, die sich losgerissen haben, von Polstermöbeln, die auf den Wellen treiben, Chemikalientonnen, Brettern, Metallstreben, oft weiß er nicht mal, was das genau ist, das da an den Strand gespült wird. Die Strömung treibt ihm alles zu, was im Meer seinen Halt verlor.

Tanakas Aufgabe ist es, das Strandgut nach Vorschrift zu beseitigen, es auf die Deponie fahren oder verbrennen zu lassen. Eine wenig aufregende Tätigkeit in dem 2000-Seelen-Dorf.

Bis im Meer vor der Küste etwas auftauchte, das aus einem Schauermärchen zu kommen schien. Die Armada der Toten. Boote von altertümlicher Bauweise, kieloben treibend oder noch völlig intakt, leer oder mit Leichen im Rumpf.

Herr Tanaka schlägt die Akte auf, die auf ihrem Deckblatt den Vermerk „Hyouchakusen“ trägt. Manövrierunfähige Schiffe. Tanaka zeigt die Karte des Gemeindegebiets, auf der er die Fundorte eingezeichnet hat. Fünf Punkte, die für fünf schwarz gestrichene Schiffe stehen. Drei davon kleine, leere Beiboote aus Fichtenholz, die anderen beiden: große Fischerboote.

Das erste wurde am 27. Oktober 2015 entdeckt. Fundzeit, liest Tanaka aus der Akte vor: gegen 8.30 Uhr. Fundort: kieloben treibend an einem Wellenbrecher vor der Küste. Länge: zwölf Meter, Breite: drei Meter. Fünf Meter vom Schiff entfernt auf dem Basalt des Wellenbrechers ein männlicher Toter, das Gesicht von Fischen zerfressen.

Fotografie: Kosuke Okahara
Zurück zur Übersicht