Am Ende sitze ich auf dem Bett meines Hotelzimmers in Bagdad, das Handy in der Hand. Die Hand zittert. Ich möchte die Nummer der Redaktion in Hamburg wählen und vertippe mich immer wieder. Vor wenigen Minuten hatte das Telefon geklingelt. „Guten Tag“, sagte ein Beamter des Bundeskriminalamts in Berlin. Staatsschutz. „Es liegt eine Entführungswarnung für Sie und Ihren Fotografen vor.“ Die Entführer, erklärte er, würden unsere Namen und unser Hotel kennen. Wer uns bedrohe, wisse er nicht. Wann sie uns kidnappen wollten, auch nicht. Wahrscheinlich sei: jederzeit.
Voller Hast packen wir Pässe, Geld, Notizen, Kameras ein, der Reißverschluss des Rucksacks klemmt. Ich ziehe und ziehe. Ich höre Schritte vor meiner Tür. Ich lausche. Die Schritte entfernen sich. Ich trete ans Fenster, sehe unten in der Einfahrt eine Gruppe junger Männer, die hinaufblicken. Sie lachen. Als ich wenig später noch einmal hinunterschaue, sind sie verschwunden. Aus der deutschen Botschaft heißt es, man erwäge, einen bewaffneten Konvoi zu unserer Rettung zu schicken. So endet unsere Recherche.
Fahrten in den Irak sind seit Jahren Fahrten in eine Welt des Zerfalls. Doch selten hat mich eine Reise in dieses Land so verstört. Die Sieben-Millionen-Metropole Bagdad war einst das Zentrum des Iraks, jetzt ist sie zu einer Frontstadt geworden. Die meisten Verbindungswege ins Umland sind gekappt oder extrem unsicher. Die Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) belagern Bagdad im Westen und im Norden. Tausende Menschen haben sie ermordet, vor wenigen Tagen die antike Festungsstadt Hatra verwüstet. Ihre Planierraupen verwandelten die jahrtausendealten Bauten zu Staub.
Was aus europäischer Sicht oft wie eine Schlacht zwischen fanatischen und gemäßigten Muslimen anmutet, ist in Wahrheit ein Konflikt zwischen den beiden großen Glaubensrichtungen des Islams. Für den „Islamischen Staat“ kämpfen ausschließlich Sunniten, die wichtigsten sunnitischen Stämme sind mit den Fanatikern ein Zweckbündnis eingegangen. Die irakische Armee, in der Angehörige beider Glaubensrichtungen gemeinsam dienten, hat sich zu weiten Teilen aufgelöst, weil die meisten Sunniten ihre Einheiten verlassen haben. Die Verteidigung der Hauptstadt hat ein eilig zusammengestelltes Heer aus schiitischen Milizen übernommen. Sie konnten den Vormarsch des IS stoppen und rüsten sich jetzt für den Gegenschlag.
Es droht die große Katastrophe des Nahen Ostens: das endgültige Zerbrechen des Iraks. Ein offener Krieg zwischen Sunniten und Schiiten. Jeder Sieg in diesem Krieg wäre eine Niederlage.