Das Parlament auf der Flucht.

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Libyen, Tobruk

„Bezug nehmend auf das amtliche Schreiben mit der Nummer 353726/54 vom 6. 12. 2014, in dem ich vom Hohen Haus zum Direktor der Öffentlichkeitsarbeit ernannt wurde, bitte ich hiermit, unverzüglich von meinem Posten entbunden zu werden. Tobruk, 9. 12. 2014, gezeichnet: Fares Labedi“.

Am Ende eines langen Flures aus Marmor und Glas steht der Schreibtisch von Fares Labedi. Er starrt auf den Cursor. „Ich mach das nicht mehr“, sagt er, elegant gekleidet, angehende Glatze, ein zierlicher Mann, 31 Jahre alt.

„Du musst mehr Geduld haben“, sagt ein Kollege, die Arme auf Labedis Schreibtisch gestützt.

Nach der Vertreibung der gewaehlten Parlamentarier aus der libyschen Hauptstadt Tripolis, fanden sie Zuflucht im Dar Alsalam Hotel in Tobruk. Dort wurde das Das Libyan House of Representatives (HoR) errichtet, um ueber die Zukunft des Landes nach der Revolution zu debattieren. Sitzungssaal des Libyan House of Representatives (HoR) in einem ehemaligen Kino.

Doch Labedi rückt den Stuhl nach hinten, steht auf, setzt seine Unterschrift unter das Schreiben, das er in der Mitte faltet. Er zögert einen Moment, läuft dann den Flur hinunter, aus der Stille seines Büros hinaus in das Stimmengewirr, das Tosen des Parlaments der Republik Libyen, das Chaos, das die Freiheit gebären soll, die Gleichheit und die Brüderlichkeit.

Mit der Kündigung in der Hand geht Labedi durch Gruppen von Abgeordneten in dunklen Anzügen, die erregt diskutieren. Zornige Rufe branden zwischen den Wänden auf und ab. Labedi sieht Militärs mit goldenen Epauletten und Stammesälteste in weißen Roben. Zwei Männer stoßen sich voneinander weg, schreien, heben ihre Fäuste. Ein dritter versucht zu schlichten, stellt sich zwischen sie mit gespreizten Armen. Labedi geht vorbei an anderen, die eng beisammenstehen, die flüstern und raunen. Sie strömen aus dem Plenarsaal, in den sie sich über Stunden zurückgezogen hatten. Sie reden vom großen Krieg, der herannahe, womöglich unvermeidbar sei. Von den Friedensverhandlungen, die zu scheitern drohen.

Einzelne Abgeordnete fassen Labedi an die Schulter, sprechen ihn an, jeder will etwas von ihm, eine Presseerklärung, die er absetzen, ein Formular, das er vorbereiten soll, doch er ignoriert sie jetzt alle.

Dies ist die Geschichte des Libyan House of Representatives. Es wurde gewählt, um das Land in die Demokratie zu führen, das 42 Jahre unter der Diktatur des Muammar al-Gaddafi lebte.

Fotografie: Theo Barth
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