Die Gesichter glänzend vor schwarzem Öl, kauern die drei Männer im Scheinwerferlicht ihres Lkw. Sie beugen sich über ihre Werkzeuge und einen defekten Bremszylinder. Sie reden kaum. Ihnen bleibt nicht viel Zeit. Nur das leise Klirren ihrer Schraubenschlüssel ist zu hören.
Tief im Gebirge Afghanistans, das die Welt als Hindukusch kennt, flirrt die Luft vor Autoabgasen, Dreck und Ruß. Dicklicher giftiger Nebel. Die Sicht im Tunnel reicht nur wenige Meter. In der klaustrophobisch engen Röhre kommen zwei Fahrzeuge knapp aneinander vorbei. Auf dem einst asphaltierten Boden liegt zentimeterhoch der Staub, die Wände sind bedeckt von einer dicken Kruste und voller Risse. Es ist düster, selten kommt das Licht der Deckenbeleuchtung gegen die Schwaden an. Seit einer Stunde versuchen die Männer, den Laster wieder flottzumachen. Die Ölschläuche der Bremsen sind geplatzt. Sie haben 90 Säcke Heu geladen, 13 Tonnen, über sechs Meter hoch gestapelt, so hoch, dass am Tunneleingang die Wachleute brüllend versucht hatten, den Laster aufzuhalten. Die Gifte beginnen den Männern in den Augen zu brennen. Bereits jetzt fällt ihnen das Atmen schwer. Es gibt Zeiten in diesem Tunnel, da droht der Erstickungstod.
„Ihr Idioten!“, ruft ihnen da aus dem Staub eine Stimme zu.
Der Ingenieur. Groß, aufrechte Haltung, eingehüllt in einen alten, abgetragenen Uniformmantel. Ahmed Schekib Atay steigt aus seinem Landcruiser, den er neben dem gestrandeten Lkw zum Halten gebracht hat. „Beeilt euch! Es ist gefährlich hier! Bald wird die Luft so schlecht sein, dass ihr euch nicht mehr gegenseitig sehen könnt!“ Ahmed Schekib Atay, den alle nur den Ingenieur nennen, arbeitet seit zwölf Jahren in Afghanistans einzigem Straßentunnel, dem Salang-Tunnel, der den Süden des Landes mit dem Norden verbindet. Er ist der Chef einer Gruppe von 34 Tunnelarbeitern, dem kläglichen Rest von einst 300 Mann. Die anderen sind vom Berg geflohen, als im Sommer die Regierung stürzte und die Taliban die Macht übernahmen.

Der Ingenieur und die drei Dutzend Arbeiter kehrten als Einzige auf den Berg zurück. Sie erhalten keine Löhne, nur wenig zu essen, die Taliban-Regierung hat kein Geld. Sie sind trotzdem wieder auf ihren alten Posten. „Mir ist es egal, wer an der Regierung ist“, sagt Schekib. „Meine Aufgabe ist es, diesem Tunnel zu dienen.“
Es gibt wenige Bauwerke auf der Welt, die so eng mit dem Schicksal eines Landes verknüpft sind wie der Salang-Tunnel und Afghanistan. Er ist die einzige Möglichkeit, den mächtigen Hindukusch auf der Straße auch im Winter zu überqueren. Die Hälfte des gesamten Warenverkehrs des Landes fließt durch ihn. Schließt der Tunnel, steigen in Kabul nach wenigen Tagen die Brotpreise, weil das Mehl aus Usbekistan eingeführt werden muss. Der Salang ist Afghanistans Lebensader. Ein Tunnel, gebaut in der Hoffnung, das Land zu entwickeln, in den Kriegen zerstört, aber immer wieder knapp vor dem Einsturz bewahrt, ein Symbol der Korruptionswirtschaft, Einkommensquelle für viele. Weil nach der Machtübernahme durch die Taliban der Staatsapparat in großen Teilen nicht mehr funktioniert, das Land ins Chaos abzugleiten droht, versucht der Ingenieur Ahmed Schekib auf 3400 Meter Höhe mit seinen Männern die Ordnung aufrechtzuhalten, die Ordnung des Tunnels.
Während der Fahrer des Lkw sich weiter hektisch bemüht, den Bremszylinder abzudichten, ist in der Ferne ein rhythmisches Hämmern zu hören, gedämpft erst, dann immer lauter. Eine Art Trommeln, das näher kommt, das Geräusch von schweren Ketten, die gegen die Piste schlagen, Drehung für Drehung, die Schneeketten Hunderter anderer Lastwagen. Für einige Tage war der Verkehr für größere Lkw wegen zu viel Schnee gesperrt. Jetzt ist die Passage wieder freigegeben. Ein gewaltiger Konvoi von Schwerlasttransportern nähert sich dem Tunnelportal von Norden. Fieberhaft schrauben die Lkw-Fahrer gegen die Zeit an. Sie wissen: Der Tunnel hat keine funktionierende Ventilation. Im vergangenen Jahr, als sie ebenfalls im Berg eine Panne hatten, so erzählen sie beim Schrauben und Hämmern, mussten sie den Wagen zurücklassen und um ihr Leben rennen, zur nächsten Öffnung in der Tunnelwand, um nicht zu kollabieren.
Die technischen Details: eine einzige Röhre, nicht lang, 4,4 Kilometer, die jedoch meist nur im Schritttempo befahren werden kann, ein Nadelöhr, durch das sich der ganze Nord-Süd-Fernverkehr des Landes quält, 7,2 Meter breit, 7 Meter hoch. Gebaut zwischen 1958 und 1964 von russischen Ingenieuren, als Afghanistan ein Königreich war und sich allmählich dem Ausland öffnete. Auf 3400 Metern unterquert der Tunnel den 4100 Meter hohen Hauptkamm des Hindukusch. Er galt lange als Ingenieurswunder und war einmal der höchste Straßentunnel der Welt.

Aus dem Eingang, einem großen Trichter aus Beton, bläst Tag und Nacht unablässig eine schwarze Rauchfahne, wie aus dem Inneren eines aktiven Vulkans. Es gibt keine Rettungsröhre und oft, wenn das Licht ausfällt, keine Beleuchtung. Der Tunnel gilt als einsturzgefährdet. Kriege und Korruption haben ihm bis auf die Substanz zugesetzt. Beton und Fels haben Risse bekommen. Jeden Winter verschütten dazu Lawinen die Passstraße und reißen an den 21 Überdachungen, die die Hochgebirgsstraße stellenweise schützen sollen. Mehrere dieser Galerien, in den Fels gesprengt, mit Beton überdacht, oft noch baufälliger als der Tunnel selbst, sind in den vergangenen Jahren kollabiert und nur notdürftig repariert worden. Dieser Winter ist der erste Winter unter der Taliban-Herrschaft, der erste Winter nach Rückzug der internationalen Gemeinschaft. Dem Land, warnen die UN, stehe die schlimmste humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten bevor. Nie zuvor in der jüngeren Geschichte drohte Afghanistan eine so gewaltige Hungersnot.