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PHOTOGRAPHIE Martin Sasse

 

Das Hotel des Diktators.

Die letzten Tage des Al Raschid.

 

 

Das Haus, in dem du schläfst, starrt aus toten Augen. Die Blicke schmerzen, straffen die kleinen Härchen auf deiner Haut. Sie dringen in die Träume, lassen dich aufschrecken in der Nacht. Du denkst: Ich ziehe aus, gleich morgen. Es sind die Blicke versteckter Kameras und eisgrauer Menschen, die dir ein pergamentenes Lächeln präsentieren. Das Haus versteht sich als Hort der Gastlichkeit. Im Flüsterton nennen Einheimische seinen Namen. Es hat fünf Sterne, ist das erste Haus am Platze, und nur wenige Gebäude auf der Welt sind so stark verwanzt. Es heißt, dass irgendwo, vielleicht im Keller, tief unten, Menschen in Uniformen sitzen, die sammeln Worte. Sortieren sie. Machen mit ihnen Dinge, die du besser nicht weißt. Nachts verdeckst du den Fernseher. Verhängst die Spiegel. Du bist dir nicht sicher, ob etwas glotzt hinter den Scheiben. Grau ragt das Haus in den blauen Himmel, 14 Stockwerke hoch. Es steht in Bagdad. Sein Mörtel ist Angst. Sein Fundament ist Misstrauen. Der Name des Bauherren prangt in der Eingangshalle in strahlend goldenen Lettern: Saddam Hussein. Das Al Raschid ist des Diktators Hotel. Der globalen Fernsehgemeinde ist es legendär. Durch seine Fenster zeigte CNN den Krieg.

„Von dem Moment an, in dem Sie die Lobby mit ihrer großartigen Marmorverkleidung betreten, bis zu dem Moment, wo Sie uns wieder verlassen, bedenken wir Sie mit einer Vielzahl an perfekt arrangierten kleinen Dingen, die Ihren Aufenthalt unvergesslich machen.“ So steht es im Werbeprospekt. 338 Räume, 26 Luxussuiten, 26 Präsidentensuiten. Schutzbunker: drei. Telefon: 00964-1-8861000. Benannt nach dem großen Kalifen Harun al-Raschid. Saddams ambitioniertes Tourismusministerium gab 1980 indischen Ingenieuren den Auftrag, ein Kongresshotel zu projektieren. 120 Millionen Dollar durfte es kosten, so viel wie kein Hotel in Arabien zuvor.

Es kam als Missgeburt auf die Welt. Spezialisten aus Schweden errichteten den Gebäuderiegel, auch den Kongresspalast gegenüber. Die Konferenz der blockfreien Staaten sollte dort gastieren. Deshalb baute man für das Raschid einen eigenen Hubschrauberlandeplatz mit Tower-Gebäude. Sie wurden nie benutzt. Denn Saddam griff kurz vor der Eröffnung das Nachbarland Iran an. Fliegeralarm und Verdunkelung kamen fortan über Bagdad, gelegentlich auch ein Kongress, aber meistens Elend, 22 Jahre Elend. Die aktuellsten Werbeprospekte des Raschid stammen aus den achtziger Jahren.

Es ist Mitte Februar, und wieder droht ein Krieg. In der Empfangshalle ist ein Gestolpere aus Füßen und Beinen. Makellose Lederschuhe europäischer Diplomaten eilen laut klatschend über den Granit. Dumpfe Schläge von Trekkingstiefeln spanischer Kameraleute hacken zum Ausgang. Englisch hallt im Foyer in eigentümlichsten Akzenten. Noch einmal lärmt im Hotel der Frieden und nicht der Krieg. Der Sondergesandte des Papstes checkt ein, abwehrend hebt er die Hände gegen den Pressepulk. Der stellvertretende südafrikanische Außenminister checkt aus, unbeachtet von der Menge. „Fuck! Fuck! Fuck!“ ruft der Korrespondent einer US-Provinzzeitung, und keiner weiß warum. Der Mann ist sonst so ausgeglichen. Die russische Friedensdelegation streitet mit ihrem staatlichen Aufpasser um das Tageshonorar. Saddam lächelt milde aus seinem goldenen Rahmen. Über allem ist Frank Sinatra. „I did it my way.“ Du ertappst dich dabei, nach zwei Wochen Sinatra, dass du die Melodie auf dem Zimmer summst. Es wird Zeit, zu gehen.

Die irakische Luxusherberge, die mit ihren Betonsonnenblenden aussieht wie ein beschupptes Reptil, hat unter Journalisten einen Spitznamen. „Größte Telefonzelle der Welt“. Wahr ist, dass die Telefongespräche abgehört werden. Es gibt Übersetzer für die gebräuchlichsten Sprachen. Sehr wahrscheinlich ist, dass einige Zimmer, wenn nicht sogar alle, verwanzt sind. Es gibt Lichtschranken und Kameras. Ein Hotelgast entdeckte neulich eine Linse direkt über der Badewanne. Er zog dann tatsächlich in Panik aus.

Seine Aussicht hat das Raschid berühmt gemacht. Es gibt wenige Häuser auf dieser Welt, von denen man eine so unverbaute Sicht hat auf das Verderben. Die vierköpfige Putzkolonne zieht täglich von Raum zu Raum, um die braungetönten Fenster zu säubern. Die Kamerateams haben dahinter wieder Quartier bezogen. Zimmer 906, in dem Peter Arnett von CNN 1991 kampierte, belegt jetzt der Anchor von „Canadian Broadcast Network (CBN)“, doch er hat das Visum nicht verlängert bekommen. Von 270 Journalisten in Bagdad müssen dieser Tage 67 gehen. Das Informationsministerium vergibt im Katastrophenkino die Plätze.

„Etwas ist los da draußen, da passiert etwas. Es scheinen verschiedene Arten Luftabwehrfeuer zu sein, jetzt, zwei Blitze am Horizont. Über dem ganzen Himmel sind Lichtblitze verteilt. Der Himmel leuchtet, leuchtet auf von diesen ständigen Blitzen. Flugzeuge nähern sich in Richtung Hotel, und Blitze. Offenbar ist da eine Art Angriff im Gange, ein unglaubliches Panorama von Blitzen hinter mir, gerade jetzt, während ich mit Ihnen spreche.“ Gary Shepard von ABC am 21. Januar 1991, 6.39, live aus dem Hotel, Zimmer 723, Ostseite.

Der Sicherheitschef der Lobbyebene steht in brauner Uniform am Eingang, das Rückgrat brettsteif durchgedrückt, acht Stunden lang, auch damals schon. „Zuerst war es unheimlich,“ erinnert sich der 37-jährige Saleeh an die Feuernächte. Während die Kameras der Reporter aus dem Hotel in die Feuernächte starrten, fokussierten die Kamerasensoren der Raketen das Hotel. „Sie flogen auf uns zu, zogen, kurz bevor sie ins Gebäude schlugen, hoch, und verteilten sich in alle Richtungen.“ Die Gebäude in der Nachbarschaft des Al Raschid, Ministerien und Institute, stürzten eins nach dem anderen in sich zusammen. Der markante Hotelbau diente den Navigationssystem der Waffen als Orientierungspunkt. So sei es gewesen, behauptet Saleeh: Es sah aus, als zielten alle Raketen auf ihn. „Heute schlage ich mich mit Krampfadern herum. Böse Sache. Das kommt vom Stehen.“

Er überlebt den Krieg, bleibt stehen als Türwache des Al Raschid. Auf Krieg folgte das Embargo. Saleeh feiert in der Zwischenzeit seine Beförderung zum Schichtleiter, es ist das Jahr 1993, der deutsche Bildzeitungs-Mann Peter Brinkmann schaut aus dem Hotel: „Plötzlich sehe ich überall Blitze. Ich gehe ans Fenster. Da kommt ein riesiger Feuerball aufs Hotel zu. Ich werfe mich zu Boden. Auf einmal ein Riesenknall. Mein Gesicht ist voller Blut, auch meine Jacke. Mir fehlen zwei Zähne. Auf dem rechten Auge kann ich nichts mehr sehen.“ Die amerikanische Rakete trifft das Hotel im Erdgeschoss, einer Rezeptionistin durchtrennt ein zentimetergroßer Glassplitter die Halsschlagader, sie stirbt, auch ein Gast. Das US-Oberkommando sagt, ihr Geschoss sollte eine mutmaßliche Atomfabrik im Norden zerstören. Es sei vom Weg abgekommen.

Saleeh spürt auf seinem Posten in der Eingangshalle die Luftdruckwelle. Den Boden seines Arbeitsplatzes haben Bauarbeiter wenig später aufgerissen und einen diabolischen George Bush, den Senior, als Mosaik in den Eingang gelegt. Als Schuhabstreifer. „Bush is a Criminal,“ steht darunter. Zehn Jahre ist das her. Im vergangenen Dezember hat man Bush mit einem roten Teppich überdeckt. Dick Patexkleber ist drauf, ganz und gar unmöglich den Bush für ein Schnappschuss zu fotografieren. Das könnte womöglich den Friedensprozess gefährden. Im Nebenberuf ist Saleeh auch Diplomat. Er erzählt und knipst das Lachen für ein vorbeiziehendes Kamerateam an. Eine Sekunde, zwei, dann erlischt es. Damals, als die Rakete kam, habe es mit den Krampfadern noch nicht angefangen, später erst, versucht er sich zu erinnern. Eine halbe Stunde heißes Wasser auf die Beine bringe ihm Erlösung, alles andere - Scharlatanerie.

Du kannst mit Saleeh nett plaudern. Du kannst ihm auf die kräftigen Schultern klopfen und mit ihm lachen. Aber er ist einer der Gründe, warum deine irakischen Bekannten dich im Raschid nicht besuchen wollen. Weil sie vor deinen Freund Saleeh Angst haben. Ernstlich Arbeit bekommt er nur dann, wenn die drei Wächter an der Straßeneinfahrt pflichtvergessen waren, die zwei Aufpasser an der Auffahrt ebenso, und die zwei Kollegen, die unten am Treppenaufgang stehen. Natürlich ist auch Saleeh nicht der letzte in der Sicherheitskette. In seinem Rücken, die lange marmorne Flucht der Lobby entlang, stehen noch weitere Kollegen im Spalier. Das letzte Glied der Kontrollkette ist Nejervan, die Etagenwache. Krummen Rückens sitzt er in einer Holzkanzel, über die er schlaff seine Arme hängt. Die Leere, in die er jeden Tag starrt, brannte seine Blicke aus. Aus den Augenwinkeln des Wächters kriechen rußschwarze Runzeln. „Ich habe das Schöne hinter mir. Ich wünschte, das Leben wäre eher heute als morgen vorbei. Denn wenn es vorbei ist, ist es gut.“

Die Melancholie sitzt in diesen Mauern wie ein Schwamm. Lachen gelingt hier nur als Grimasse. Wenn die Kellner im Restaurant „Rehanah Coffee Shop“ Scherze wagen, werden sie strafversetzt. Wegen Disziplinlosigkeit. „Ich habe keine Bedürfnisse mehr“, sagt Nejervan, der Etagenwächter. „Ich habe auch keinen Appetit mehr. Ich komme nach Hause und esse das, was die Familie übrig gelassen hat. Ich esse überhaupt nur sehr wenig. Eigentlich trinke ich fast nur Tee.“ Er sieht in den Flur des achten Stocks, die üblichen acht Stunden, führt Protokoll, wer wann mit wem das Zimmer verlässt. Lesen darf er nicht, sonst gibt es einen Strafabschlag auf sein Gehalt. Denken, sagt er, will er nicht. „Wohin bringt dich das? Denken nützt dir im Leben nichts.“

Das Hotel ist ein Hort der Andeutungen und des Ungesagten. In der Lobby geht es zu wie beim Schattenspiel. Schemenhaft, sprachlos, gleiten Angestellte und Journalisten im Hotel einander vorbei. Die Sprache des anderen verstehen sie ohnehin so gut wie nie. „Barbaren!“ sagt Ahmed Abu Fatima, 27. Der Beduine in seinem Folklore-Zelt wahrt im Auftrag der Hotelleitung den touristischen Schein und beobachtet Journalisten seit 13 Jahren. „In ihren Gesichtern habe ich noch nie eine menschliche Regung gesehen. Wenn sie erfahren, dass Bomben einschlagen und Menschen umkommen in der Stadt, bleiben sie unberührt. Sie sind wie Tiere.“ Freundlich reicht er ihnen einen Tee.

Das Orakel für Krieg und Frieden schläft im 14. Stock. Er heißt Hans Blix. Bullige Männer aus Osteuropa bewachen ihn. Zum Frühstück isst er Sandwich, zwei Eier. Keine Herausforderung für die Raschid-Küche. Hans Blix ist in Bagdad auf seinem vorerst letzten Besuch. Scheitert die Mission des UN-Waffeninspekteurs, fällt der Tod zehntausendfach vom Himmel.

Das Hotel, das ein Käfig mit Klimaanlage ist, ist der einzige Ort, an dem sich Ausländer im Irak frei bewegen können. Tägliches Paradoxon. Die Begleiter des Informationsministeriums, die ihnen draußen selten von der Seite weichen, verabschieden sich vor seiner Tür. Erfolgreich haben sie die potentiellen Staatsfeinde in Saddams edelsten Verließ zurück gebracht. „Ich bin Faust,“ sagt dort Caruso, Reporter des portugiesischen Fernsehens. Er wartet auf Blix, der sich Zeit beim Frühstück lässt. „Ich bin Faust und habe einen Pakt mit Mephisto.“ Die Kriegsberichterstatter im Al Raschid kennen sich untereinander, man schlägt sich schallend in die Hände. Kosovo, Tschetschenien, Afghanistan. Jünger bist du nicht geworden! Was machen die Kinder?! Was macht dein Visum? Manche lockt das Abenteuer. Der Zwang, sich beweisen zu müssen. Manns genug zu sein für Saddam Hussein. Viele malen sich schon beim Luxusfrühstück die Heldengeschichten aus, die sie den Bewunderern daheim erzählen. Andere bringt die Wut über die amerikanische Aggression an die Al Raschid-Rezeption. Und auch solche sind hier, die es machen, weil sie es schon so lange machen. Wie Caruso. „Ich habe mich in mein Schicksal gefügt“, sagt er. „Ich habe mich an Mephisto verkauft. An das Publikum. Den Ruhm. Meine Mutter verfolgte die letzten 20 Jahre meines Leben am Fernseher. Jetzt hatte ich zwischen zwei Reisen gerade einmal Zeit für ihre Beerdigung. Mein Leben ist eine Lüge, und jetzt kann ich nichts mehr dagegen tun.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Blix hat den Hinterausgang genommen. Die Teams haben am Vordereingang gewartet. Ihre Hundertschaft mit den staatlichen Betreuern, Fahrern und Übersetzern zerstreut sich.

Das Warten im Al Raschid drückt auf die Stimmung. Ein Gefäß voll Traurigkeit dieses Hotel. Du wanderst fensterlose Marmorgänge ab. Vier Stunden hast du vergeblich versucht, zu telefonieren. Furchtbar die Anschlüsse dieser Stadt. Jetzt betrachtest du Uhren mit Saddam-Antlitz in den Auslagen menschenleerer Souvenirshops, grüßt den Kollegen aus der Ukraine, den du heute schon dreimal gegrüßt hast, da hallt im Gang plötzlich helles Vogelgezwitscher. Die Tür zu einem kleinen Innenhof steht offen, ein Versehen. Du steckst den Kopf hinaus. Hunderte Vögel hängen in den Kronen zweier Zierbäumchen. Saleeh, der Sicherheitschef, zerrt dich rasch wieder hinein. „Die Tür muss geschlossen bleiben.“ So ist das im Al Raschid. „Tourismus und Militär“, vertraut dir Saleeh an, „liegen in ihrem Wesen nahe beieinander. Zu beiden gehört Disziplin.“

Das Haus, das alles wissen will, hat einen Direktor, der nichts sagt. „Welche Zimmernummer haben Sie“, fragt er, und du nennst sie ihm mit einem unguten Gefühl. „Ich weiß, was in meinem Hotel vor sich geht, im Dienst und nach dem Dienst. Ich werde auf dem Laufenden gehalten, über jedes Detail.“ Die Angestellten nicken ehrfürchtig, wenn Ghazi Ali Ismail durch die Lobby schreitet. Sein Büro ist ganz unpompös. Sperrholzwände um einen leicht lädierten Schreibtisch, gelangweilt blickender Saddam mit strahlendem Ghazi an der Wand. Du willst etwas über das Innenleben des Raschid erfahren? Ghazi runzelt die Stirn. „Das ist ungewöhnlich.“ Die Küche, die Suiten, die Telefonzentrale? Der Direktor stimmt zu, und dennoch, in seinen Augen hast du dich sehr verdächtig gemacht.

Etwas Unverdächtiges zu seiner Beruhigung: ein Kilo Lamm, ein halbes Kilo, nein, besser 200 Gramm Zwiebeln, zwei Trockenzitronen, Knobloch nicht vergessen, üppig, üppig, dazu Suppengrün, damit auch nicht sparen. Das Lieblingsrezept des Küchenchefs Shaban, was übersetzt „der Satte“ heißt. Fleisch mit Zwiebeln und Knoblauch anbraten, heißes Wasser drauf. Sobald das Fleisch gar ist, die Zitronen rein. Sechs Restaurants mit 240 Mitarbeiter hat Shaban unter sich. Aus Ägypten ist er vor 20 Jahren gekommen, wie er sagt, „aus Liebe zu unserem Präsidenten“, weil der „alle Menschen mag“. Zum besten Koch des Iraks kürte ihn Saddam 1989, ein Jahr bevor er Kuwait überfiel. Foto und Urkunde hängen in Shabans Bürozelle. Häufig hat er den weisen Führer schon bekocht, Zünftiges bevorzuge der, weiß der korpulente Chefkoch. Auf Kohle geschmortes Kebab zum Beispiel. Die Amerikaner, wenn sie kommen, will er mit Küchenmessern traktieren. „Deutscher Stahl“, grinst er.

Flüssig wie das Stockblut in Shabans Töpfen sind die Tage im Al Raschid. In der Nähe von Bagdad finden die Waffeninspektoren verbotene Sprengköpfe, Colin Powell spricht vor der UN von unleugbaren Beweisen. Die Bagdadis versorgen sich auf dem Schwarzmarkt mit Kalaschnikows. Viele fürchten den Ausbruch eines Bürgerkrieges. Hilfsorganisationen schätzen die Toten des drohenden Krieges auf eine halbe Million. Neuankommende Reporter haben ABC-Schutzanzüge im Gepäck. Die Reinigungstrupps des Raschid staubsaugen eifrig in den Bunkern, schließlich wirbt das Trutzhotel, das einzige der Stadt mit Luftschutzkellern zu sein. Ein Jahr lang sollen angeblich die Lebensmittelvorräte in den Gewölben halten. Eigene Brunnen sichern im Notfall die Wasserversorgung. In Bunker 3 findet sich überraschend die Kantine fürs Management. Es gibt Lamm mit Linsen. „Heiß ist es hier“, stöhnt der Leiter fürs Einkaufswesen. „Die Klimaanlage schafft es nicht mehr.“ Rosa gestrichene Tempelfriese aus Pappe sollen ein wenig Noblesse bringen.

Saddams Gäste ringen hartnäckig um Nestwärme. Der Agenturfotograf nimmt den Fernseher auf seinem Zimmer auseinander. Er schraubt ihn auf, weil er genug hat von der Ungewissheit. Er ruft den Techniker und stellt ihn zur Rede. Er leuchtet mit der Taschenlampe in die Lüftungsschlitze der Klimaanlage, unter die Möbel, kann aber nichts entdecken. Unten am Pool klatscht derweil in weiten Würfen das Wasser über den Beckenrand, die Arme einer italienischen Radiokorrespondentin pflügen die Bahnen. Im weißen Liegestuhl betrachtet daneben der Korrespondent von „Le Figaro“ die Schwimmerin. Versonnen schaut er über einen Buchrücken. „A wonderful place,“ lächelt er unter seinem cremefarbenen Krempenhut, und sanft wedelt hinter ihm ein Palmenblatt im Wind. Die Amerikaner haben die Frist für die Waffeninspektoren verlängert. Man richtet sich ein und entdeckt in der Krise freie Tage.

Die doppelläufige Flak auf dem Gebäude gegenüber ist heute Nacht durch ein großkalibrigeres Geschütz ersetzt worden. Vier Soldaten zerren an dem Gerät, eine Schinderei, nur zentimeterweise bewegt sich der Lauf Richtung Hotel. Der letzte Blick aus dem Fenster. Die Stadt unzerstört. Es ist drei Wochen vor Ausbruch des Krieges. Der Verkehr fließt. Kein Mündungsfeuer. Keine verglühenden Menschenleiber. Eltern haben noch ihre Kinder. Kinder ihre Eltern. Zarte Abgasschleier über den Häusern. Das nächste Mal steigst du woanders ab. Im Ishtar oder Palestine, auch wenn das Frühstücksbüfett dort deutlich schlechter sein soll. Dein Flug nach Jordanien ist in drei Stunden. Du deponierst das Trinkgeld und gehst.

 

Das Hotel wurde nach Einmarsch der Amerikaner geplündert, das Inventar verbrannt. Es befindet sich jetzt in der schwer geschützten so genannten „Grünen Zone“ und wird von den USA genutzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
           
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PHOTOGRAPHIE
Martin Sasse, Berlin
SasseFoto@aol.com
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