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PHOTOGRAPHIE Marc Steinmetz

 

Wettlauf der Himmelsstürmer.

 

 

E
in langsam anschwellender Ton legt sich über das Hochmoor, eine Art schwermütiges Stöhnen. Tief und dunkel. Vögel fliehen aus hohem Gras, Schafe jagen auseinander. Die Luft füllt sich mit animalischen Brüllen. Im Beobachtungsstand lässt einer vor Aufregung seinen Pappbecher mit Kaffee fallen, keiner achtet auf ihn. Sie stehen vor den Fenstern, hinter dicken Mauern, hinter Schutzklappen aus Stahl und blicken auf den Hügel. Das Ding, das ihr Geschöpf ist, eines, dass sie nicht kontrollieren können, erwacht zu neuem Leben. „Was machen die Wanderer, verdammt,“ brüllt einer ins Funkgerät, „sind noch Wanderer in der Nähe?!“ In den Dörfern der Umgebung beginnen die Menschen nervös Richtung Moor zu schauen. „Zero“ spricht jemand im Beobachtungsstand ins Mikrofon, mit trockener Stimme, und die Erde bebt. Und die Druckwelle schlägt den Leuten im Beobachtungsstand wie eine Faust auf die Brust. Und ein Bauer ruft die Polizei, weil es ihm den Putz von der Zimmerdecke reißt.

England, südlich von Manchester, ein Testgelände der Regierung. Monatelang hat sich das Team von Steve Bennett auf diesen Tag vorbereitet. Bis tief in die Nächte hinein haben die Männer gerechnet und diskutiert. Jetzt sehen sie aus ihren Beobachtungsbunker die Kurzfassung des Weltuntergangs. Ein 15 Meter lodernder Feuerstrahl donnert, 22 Sekunden lang. Erde schmilzt, Luft vibriert, ein metallisches Röcheln, und plötzlich ist wieder Stille überm Moor. Einzelne Grasbüschel brennen. Steve Bennett, 39, Drachen-Tattoos auf beiden Oberarmen, ballt die Fäuste, wirft den Kopf in den Nacken. Das Feuer, das er seit seiner Kindheit zu bändigen versucht, das ihn narrte und täuschte, scheint sich ihm dieses Mal zu unterwerfen. Er fällt Chefingenieur Anthony Haynes um den Hals. Aschfahl ist der 25jährige, Absolvent der Raumfahrttechnik in Manchester, sein Blick aber leuchtett.

Das stärkste jemals in Großbritannien gezündete Raketentriebwerk hat Bennetts Gruppe eben getestet. Das Biest, das von Nahem einer englischen Milchkanne ähnelt, nur ein bisschen schlechter verschweißt, soll zum Nutztier werden, zum Maultier auf den Weg zu den Sternen. „Ich komme da rauf,“ streckt sich Steve Bennett im Übermut zum Himmel. Schwarzer Rauch verdeckt die Sonne. Als erster Mensch will der Brite mit einem selbstgebauten Gefährt in den Weltraum vorstoßen, die Nasa düpieren und in den Geschichtsbüchern landen.

Er gehört mit „Starchaser Industries“ (Sternjäger) zu 26 Teams, die weltweit um den X-Prize konkurrieren. Zehn Millionen Dollar hat eine Stiftung amerikanischer Weltraumbegeisterter 1996 demjenigen ausgelobt, der es als Erster ohne staatliche Unterstützung schafft, ein Gefährt zu bauen, das zweimal innerhalb von 14 Tagen drei Personen in eine Höhe von mindestens 100 Kilometern befördert - und sie wieder heil zur Erde bringt. Die Siegprämie haben Raumfahrtunternehmen gespendet sowie Prominente wie der Krimi-Autor Tom Clancy, Tom Hanks und der Astronaut Edwin „Buzz“ Aldrin, der zweite Mensch auf dem Mond. Den Rest wird eine Versicherung auszahlen.

27 Teams haben sich bislang für den Wettbewerb angemeldet und übertreffen sich gegenseitig mit kühnen Konstruktionen. Israelische Ingenieure etwa bauen eine Rakete, die mit einem Heliumballon zunächst auf zehn Kilometer Höhe gebracht und erst dort gezündet werden soll. In Russland hat eine Gruppe ein Überwachungsflugzeug aus dem Kalten Krieg zum Trägersystem für ein Mini-Shuttle umgeformt. In Argentinien bastelt man an „Gauchito“, dem kleinen Cowboy, der aussieht wie ein zu groß geratener Feuerwerkskörper. Ein pensionierter Raumfahrtingenieur aus Oregon, USA, plant ein Ufo-förmiges Gerät mit Düsentriebwerken, die in extrem dünner Atmosphäre arbeiten können.

Mehrere Teams haben Starts für die nächsten Monate angekündigt. Sie meinen es ernst. Ihre Unternehmungen sind allesamt sehr waghalsig. Während die Nasa pro Jahr mehr als drei Milliarden Dollar allein in den Space Shuttle steckt, haben viele X-Prize-Kandidaten nicht einmal 100 000 Dollar zur Hand. Noch nie wollten Menschen mit so wenig Geld so hoch hinaus. Der Wettbewerb, der sich nach schlechtem Hollywood anhört, mausert sich zu einem der großen Abenteuer der Raumfahrt.

„Das Rennen nähert sich seinem Höhepunkt“, verkündet Peter Diamandis, Xprize-Vorsitzender im amerikanischen St. Louis. Steve Bennett ist der Veteran unter den Raketenrecken. Einen Namen wie Donnerhall besitzt er in Großbritannien, seit ihm einmal eine Testrakete vor laufenden Kameras explodierte. Die Medien lieben ihn. „Bei uns in England hat man einen Faible für tragische Verlierer.“ Früher arbeitete er bei Colgate als Zahnpastakontrolleur, jetzt will er zahlende Touristen ins All schießen. Acht Leute stehen auf seiner Lohnliste. Der Triebwerkstest auf dem Versuchsgelände bei Manester soll sein Team endgültig an die Spitze des Wettbewerbs bringen. Er entlässt den jungen Ingenieur aus dem Klammergriff und geht im Wiegeschritt des Bodybuilders zum Teststand, um zu sehen, was vom Triebwerk noch übrig ist.

Die Idee des Xprize besitzt ein historisches Vorbild. Der Mensch macht die absurdesten Dinge, wenn man nur seinen Sportsgeist reizt. Schon die Luftfahrt hat der flott bekommen. Die tollkühnen Kerle in ihren fliegenden Kisten jagten bis in die 30er Jahre Preisgeldern hinterher. Louis Bleriot wagte 1909 für 1000 Pfund die erste Überquerung des Ärmelkanals. Charles Lindbergh flog 1927 als erster nonstop über den Atlantik, um die 25 000 Dollar des Orteig-Preises einzustreichen. Wettbewerbe machten die Fliegerei populär, sie kreierten Bühnen für Stars und Helden, zogen Investoren und Ingenieurstalente in den Bann. Der X-Prize will diese Erfolgsgeschichte wiederholen. „Wir werden das All für alle öffnen“, so Diamandis. „Wir wollen, dass sich möglichst viele dort oben mal umgucken können.“

Die Technologien sind bestens bekannt, NASA-Routine seit den Mercury-Redstone-Flügen der 60er Jahre. Suborbitale Missionen kratzen nur das All. Sie können auf komplizierte Steuereinrichtungen und wuchtige Hitzeschilder, wie sie Orbitalraketen brauchen, verzichten. Nur traute sich bislang kein Privatier an sie heran. Der X-Prize änderte das. Wieder wird weltweit fieberhaft an Kapseln, Triebwerken und Zündstufen geschraubt. Die Handbücher der Raketenbaupioniere aus den 50er Jahren werden gewälzt, die Budgets sind fast immer minimal, eine nationale Sache ist es überall. Erdenbürger Ottonormal greift zu den Sternen. Wir wollen auch mal ran. Nach Umfragen träumt jeder zweite Deutsche von einer Reise ins All. Zu lange musste sich das Fernsehpublikum von Mondflügen und Shuttlestarts in Geduld üben. Schauen, aber nicht anfassen. Staunen, aber nicht fühlen.

Über Jahre hinweg lag Starchaser von Steve Bennett beim Wettbewerb vorne. Die stärkte jemals in Großbritannien gezündete Rakete hat er 2001 fünf Kilometer in den Himmel geschossen. „Nova“ heißt sie und ähnelt mit ihren elf Metern schon fast der Saturn-Rakete. Mit dreizehn Jahren begann er mit kleinen Aluminiumröhren, Verpackungen für Gebissreiniger, die er auf dem Schulhof zündete. Später, mit Anfang 30, gab er den sicheren Job auf, verschuldete sich, steckte all sein Vermögen in die jeweils nächste Rakete - die manchmal gleich nach dem Start explodierte. Für Bennett gibt es kein Zurück. „Ich habe keine andere Chance. Ich bin schon zu weit gegangen. Ich habe nur meine Raketen.“ Nach dem Erfolg mit „Nova“ verkaufte er die ersten zwei Touristentickets. Der Xprize schien nahe. Doch dann, im März vergangenen Jahres, kam etwas dazwischen: eine Pressekonferenz in Übersee.

Kalifornien, Mojave-Wüste, schmerzend blauer Himmel. Der Hexenmeister kennt keine Konkurrenz. „Nein, keine“, sagt er in Interviews. Burt Rutan, 60, spielt mit der Gravitation wie kaum ein anderer. Die gewagtesten, bizarrsten Flugzeugtypen hat er in die Luft gebracht. Es heißt: mehr als alle anderen lebenden Ingenieure. Solche, die extrem hoch flogen, solche, die ultraleicht waren und die „Voyager“, die in neun Tagen ohne Aufzutanken den Planeten umrundete. Der Mann, graumelierte Koteletten, Löwenmähne, tritt auf wie ein Prediger des 19. Jahrhunderts. Jünger des Fortschritts. Er schläft in einer weißen Pyramide am Rande des Flugfelds. Am 17. Dezember 2003 also erklärte dieser Rutan die Teilnahme am X-Prize, und es sah so aus, als hätte er ihn damit auch schon gewonnen.

Für wenige Stunden gab er den Blick auf futuristische Kreuzungen aus Fledermaus und Flugzeug frei. In zwei Jahren hatte sie Rutans Unternehmen „Scaled Composites“ aus Karbonfaser und Epoxid gezüchtet. Das Mutterschiff (White Knight), ein zweistrahliges Turbojetflugzeug, soll in 17 Kilometern Höhe das kleinere Raumschiff ausklinken. Diese Höhe kennt einen nur noch geringen Luftwiderstand. Space-Ship-One heißt der kleine Raumgleiter, ein Zwergwal mit Stummelflossen. Seine Zündstufe soll ihn über die Ziellinie von 100 Kilometern Höhe bringen. Viele kleine ovale Fenster im Cockpit sorgen für gute Sicht. Dafür zahlen sie schließlich, die Touristen, der Erde ins Blaue schauen zu können. Auf 80 000 Dollar schätzt Rutan den Preis für 15 Minuten planetare Achterbahn. Ein Schnäppchen. Dennis Tito, Tourist Nummer 1, zahlte für einen Ausflug zur ISS 20 Millionen Dollar. Und seine Aussicht war nur unwesentlich besser.

Die Hangartore schlossen sich wieder, keine Interviews seither, keine Bilder, ganz im Geheimen forscht Rutans Team. Der Starttermin soll nicht fern sein, mehr erfährt man nicht. „Unser Kunde“, wird Anrufern freundlich beschieden, „wünscht absolute Diskretion.“ 30 Millionen Dollar soll dieser „Kunde“ Rutan für das Xprize-Projekt gegeben haben, 20 Millionen mehr als die Prämie. Wer macht so etwas? Die Chatforen des Xprizes liefen heiß. Dann wurde bekannt, dass ein Dokumentarfilm über „White Knight“ gedreht wird; die Exklusivrechte besitzt eine Firma in Seattle und die wiederum gehört Paul Allen, Mitbegründer von Microsoft. Rutan äußert sich dazu nicht. Allen auch nicht. Der drittreichste Mann Amerikas wäre nicht erste Shooting Star der New Economy, der in den X-Prize investiert. Jeff Bezos, Gründer des Online-Buchhandels Amazon, John Carmack, Erfinder von Computerspielen, leisten sich eigene Raketenschmieden. Cyperspace war für sie nur der Beginn. Der Spaß geht jetzt erst richtig los.

Das Biest hat sie getäuscht. Im nordenglischen Hochmoor beugen sich die Starchaser-Techniker über die abmontierte Düse und fassen es nicht. Anthony Haynes, dem sie eben noch applaudierten, auf die Schultern klopften, der gar nicht mehr wusste, wohin gucken vor Glück, ringt mit den Tränen. Die Düse hat einen Riss. „Was ist das?“ hatte Bennett ins allgemeine Gratulieren gefragt, als er mit dem Autoschlüssel beiläufig an der Düse kratzte. Zwischen Brennkammer und Düse ist die Schweißnaht gebrochen. Hätten sie das Triebwerk etwas länger gefahren, wäre es explodiert.

Zwei Schritte vor, einer zurück, manchmal auch wieder zwei zurück oder sogar vier, weil sich ein früherer Fortschritt als nur scheinbar erweist. Die Stimmung auf der Krisensitzung von Starchaser am nächsten Morgen ist niedergeschlagen. Anthony bekam über Nacht leichtes Fieber, Haut wie Wachs, ihn friert. Bennett strahlt zur Überraschung der Runde. „Leute, sagt er, „ich habe eben ein Email bekommen, wonach Burt Rutan alle weiteren Flugtests für dieses Jahr absagt. Die haben Probleme mit dem Trimming. Ich habe es dem Vogel gleich angesehen.“ Er boxt sich vor Freude in die Hände. Die Nachricht von Rutans Problemen jagt um die Erde. Die Verfolger schöpfen wieder Hoffnung.

Toronto, Kanada, Fassaden von Wolkenkratzern spiegeln Spiegelbilder von Spiegelbildern. Teambesprechung des Da Vinci-Projekts, das von einem gigantischen Heliumballon eine Rakete starten will. Bisher haben sie nur Softwaresimulationen. „Ich muss euch zu Anfang noch etwas Wichtiges sagen. Burt Rutan steckt in der Scheiße.“ Hinter einer gelben Rapperbrille grient Brian Feeney schadenfroh. Die Teammitglieder schauen von ihren Computersimulationen hoch. „Alle Tests abgesagt. Denen ist White Knight fast abgeschmiert. Oooo, schlecht für den alten Burt, aber“, fügt er hinzu und grinst nun über beide Ohren, „großartig für uns.“ London, Ontario, Geoffrey Sheerin von „Canadian Arrow“, fährt mit seinem rostigen Chrysler am Teststand vor. Er baut die deutsche V 2 nach, die „Vergeltungswaffe“ Hitlers, modifiziert als Vergnügungsdampfer-Version. „Schon gehört?“ ruft er seinen Assistenten Dan auf der Spitze des Turmes zu. Eisig ist es dort oben, dabei ist es erst Ende Oktober. „Rutan hat technische Probleme, was Ernsthaftes wohl!“ Dann faltet er die Hände zu einem Trichter. „Kommt Roy nachher, um den Drucktest zu machen?“

Natürlich ist es auch möglich, dass es keiner schafft. Dass es einfach noch nicht geht. Dass Träumer zu ungeduldig träumen. Möglicherweise dauert es noch Jahrzehnte, bis sowohl verlässliche als auch wirtschaftliche Systeme zu Verfügung stehen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist das All ja nur eine Schraubenwindung weit weg.

Rumänien, Dragasani, eine Kleinstadt in der Walachei. Der Nachbar, dem oben rechts die Zähne fehlen, zieht weiße Plastikhandschuhe an, zum ersten Mal in seinem Leben, das ist mühsam, er zupft und zieht, aber jetzt kommt es drauf an. „Das gute Stück darf nicht dreckig werden. Die Leute würden sich ja totlachen.“ Im Garten der Familie Truta liegt eine Rakete aufgebockt auf zwei Höckern. Sie ist 4,50 Meter lang, hat die Form einer kubanischen Zigarre, mit vier Flügeln hintendran. In der Mitte ist sie ein wenig dicklich. „Der Wasserstofftank“, sagt Schwiegersohn Dumitru Popescu, 27, Präsident der „Aeronautics and Cosmontautics romanian Association (ARCA)“, der die Rakete seit sechs Jahren baut. „Entschuldigen Sie bitte die Umstände“, hält er verlegen den Kopf schief, wenn er Besucher durch den Raumfahrtgarten führt. Die Umstände haben sich etwas gebessert, seit er seinen Schwiegervater bat, den Hühnern einen neuen Zaun zu zimmern. Die Tiere sind Popescu beim Raketenbauen immer vor die Füße gelaufen, und wie sieht das aus? Rakete mit Hühnerschiss. Er schüttelt energisch den Kopf. „Nicht akzeptabel.“

Sehr zerbrechlich wirkt der 27jährige und sehr selbstbewusst. „Ich habe mir neulich im Internet das Triebwerk von Steve Bennett angeguckt. Sie wird reißen. Sie ist schlecht geschweißt.“ Ein feingliedriger, kleiner Mann voller Dynamik, dessen Haare oft zerzaust in alle Richtungen ausgreifen, als leiteten sie aus der Umgebung Energieströme ab. Theologie und Raumfahrt hat er in Sibiu studiert, nach sechs Semestern die Universität verlassen und sich für den X-Prize angemeldet, weil er spürt, er kann es schaffen. Seine Familie spürt das auch. „Der packt das“, sagt Schwiegervater Constantin Trutu, arbeitslos wie viele hier. „Der will das, also schafft er es.“

Der Konstrukteur hat seit Tagen kaum geschlafen. Die Rakete will er morgen auf dem Platz vor dem Rathaus aufrichten, in purpurnen Satin verhüllt. Alle werden sie kommen, in Anzug und Krawatte, und endlich werden sie verstehen. Popescu wird sie ihrer Ignoranz strafen. Ihrer Blicke. Der anzüglichen Witze über sein Team. „Ich bin es leid.“ Weiße Wandfarbe streicht er hektisch auf den Glasfaserrumpf. Die Präsentation wird ihnen beweisen, das seine Träume keine Illusionen sind. Der Bürgermeister hält eine Rede, das Fernsehen überträgt live, auch die amerikanische Botschaft in Bukarest – wer hätte damit gerechnet – schickt einen Repräsentanten. Hoffentlich trocknet die Farbe bis dahin.

Das amerikanische Militär meldete sich bei Popescu neulich per Email, ob er ihnen ihr System erläutern könnten. Hinter der Rakete im Garten der Trutas weht das weiße Tischtuch der Mittagstafel sanft im Wind. Schwiegermutter Truta bringt Rotwein und Hähnchenschenkel. Die Blumen in der Vase, die auf den Wasserstoffkanistern steht, tauscht sie jeden Tag aus. Schwiegervater Truta schweißt letzte Halterungen an das 13,5 Meter lange Startgerüst. Wenn er die vergangenen sechs Monate nicht im Gemüsebeet war, hat er geschweißt. Vorne an der Strasse, auf der geschäftig Pferdefuhrwerke klappern, fing er an. Hinten am Hühnerstall hörte er auf. Über allen, oben zwischen den Verstrebungen, verkantet sich die Mutter Popescus breitbeinig. Sie streicht den Startturm orange.

Alles spricht dagegen, dass es Popescu jemals schafft, er weiß es und ist vielleicht gerade deswegen so versessen darauf. Die Gartenkosmonauten sind das X-Prize-Team mit dem geringsten Etat. Acht Monate dauerte es, bis sie allein die tausend Dollar Anmeldegebühr zusammengebettelt hatten. Die „Aeronautics and Cosmonautics Romanian Association (Arca)“ ist nun gleichberechtigt gelistet neben „Scaled Composites“ von Burt Rutan und „Armadillo“ des Multimillionärs Carmack. „Sie befinden sich auf einer wissenschaftlich wichtigen Mission und einem unter Umständen sehr profitablen Wagnis.“ Das sandte der X-Prize-Präsident als Grußwort für die Präsentation. Popescu bewahrt das Schreiben aus Amerika, in Ordner und Folie, wie in einem Schrein. Die Welt hat ihn in Dragasani nicht vergessen.

Die Berechnungen füllen Bände, es sind Tabellen, Zahlenreihen, notiert in kleiner enger Schrift. Jedes Detail kalkulierte Popescu viele Male, theoretische Frage machen ihn nicht verlegen. Er streut Lehrsätze wie ein Komet seinen Schweif. Sechs Jahre schon rechnet er seine Rakete. Ihr Name ist „Orizont“, 14 Meter hoch, Durchmesser 1,3 Meter, Gewicht sieben Tonnen. In der Kapsel sitzen drei Passagiere übereinander, der Aerodynamik wegen. Aus Sicherheitsgründen will Popescu zunächst Hunde und Katzen in der Kapsel befördern. Beim allerersten Start fliegt die Rakete jedoch leer. „Ich mag Hunde und Katzen.“ Auf den Schienen der Startrampe wird „Orizont“ in den Himmel gleiten, beschleunigt auf maximal 1,300 Meter in der Sekunde. Die Belastung übersteige die Erdbeschleunigung um das 3.5fache. Das sei ertragbar, sagt Popescu, der bisher nur einmal in seinem Leben mit dem Flugzeug flog.

In 40 Kilometern Höhe soll sich der Antrieb abschalten und die Zündstufe absprengen, so der Plan. Die Kapsel, beschreibt Popescu die Reise ganz unaufgeregt, drifte sanft weiter nach oben, bis sie die hundert Kilometer erreicht. Die Rückreise besorge ein Fallschirm. Alles in allem dauere der Ausflug 15 Minuten. Nach der letzten öffentlichen Präsentation von „Orizont“ änderte Popescu das Konzept, weil 2002 unerwartet der Teststand explodierte und Raketentrümmer auf Dragasani stürzten.

In Wellen sah seine Frau Simona, 22, die Luft auf sich fluten. „Ich wusste nicht, dass man Luft sehen kann wie Wasser.“ Es war der vierte Triebwerkstest mit flüssigem Brennstoff. Wie immer hatte Großmutter die Triebwerksteile mit dem Pferdefuhrwerk hierher gefahren. Das Aufbauen war flott vonstatten gegangen. Alles Routine, die man im Griff zu haben schien. Simona legte sich deshalb nicht wie die anderen in den Schutzgraben. Sie wollte besser sehen und blieb aufrecht stehen. Damals hätte der X-Prize fast seinen ersten Toten gefordert. Der Schwarzpulverzünder verzögerte um Sekundenbruchteile, dabei floss zu viel Wasserstoff in die Brennkammer. „Herrgott, war das ein Ding!“ verzieht der Schwiegervater im gespielten Schreck das Gesicht. „Wie ein kleiner Atompilz hat das ausgesehen.“ Die Druckwelle warf Simona um, das Haar riss ihr an der Kopfhaut. Sie blieb jedoch unverletzt. Über ganz Dragasani regnete es Trümmer. Noch in sechs Kilometer Entfernung traf ein Blechstück das Wohnzimmerfenster ihrer Nachbarin. Scherben lagen bis die Küche. Den Schaden beglichen sie. Nein, da gab es kein Diskutieren. Die neue Rakete hat Popescu nun durch Priester Paul, einem Studienfreund, mit Weihrauch segnen lassen.

Das Gartentor quietscht, und der Bürgermeister tritt ein. Ein barocker Mensch. Wallender Mantel, lockiges Haar, Goldzähne, die aufblitzen, wenn er sich gequält ein Lächeln abringt. „Soso“, sagt er. Mitglied der liberalen Partei, Weinbauer im Zivilberuf. Die Rakete mustert er unentschlossen, er geht um sie herum, einmal, zweimal, als wüsste er noch nicht, ob dieses Insekt nun nützlich oder schädlich sei. „Wie heißen die Dinger da hinten?“ zeigt er aufs Heck. „Flügel“, antwortet Popescu nervös, der sich noch mit dem Pinsel abmüht, die „Orizont“ weiß zu streichen. „Verstehe, verstehe“, sagt der Bürgermeister. „Ein Opportunist“, flüstert Popescu wenig später. „Unterstützt uns nur wegen den Wahlen.“ Die Raketenschau vor dem Rathaus solle die Bevölkerung glauben machen, wie wichtig dem Bürgermeister hier die Zukunftsindustrien sind.

Der Müllwagen fährt vor, auf der Ladefläche dampft der Unrat noch. Ein Eklat bahnt sich an. Der Bürgermeister hatte versprochen, sich um den Transport ins Stadtzentrum zu kümmern. Mit Gönnermiene steht er da. Popescu tobt innerlich. „Niemals“, zischt er leise seinem Schwiegervater Truta zu. „Ich erlaube nicht, dass man die Rakete mit dem Müllwagen durch die Stadt kutschiert!“ Der Schultes ist auch erbost. Weil die Müllmänner vorher nicht den Müll von der Ladefläche entsorgten. Schwiegermutter Truta reicht zur Beruhigung Kaffee und Pflaumenschnaps, außerdem trägt eine Nachbarin endlich den lang angekündigten Staubsauger heran. Der hat eine integrierte Schubumkehr, Marke „Ideal“, rumänisches Patent, auch fürs Streichen zu gebrauchen, und besprüht in Nullkommanix die „Orizont“ ganz und gar. Das entschärft die Situation.

Rumäniens private Raumfahrtpläne hängen ab von dieser Präsentation. Alles haben die Arca-Leute auf eine Karte gesetzt. Wenn sie es nicht schaffen, neue Sponsoren zu beeindrucken, ist es vorbei. Die Ersparnisse aller Teammitglieder sind aufgebraucht, ganz so wie vor zwei Jahren, als sie nicht wussten, von was das Brot kaufen am nächsten Tag. Popescus geplanter Befreiungsschlag funktioniert in der Theorie so: Ein neuer Sponsor finanziert für 4000 Dollar den ersten Teststart am Schwarzen Meer. Verläuft er erfolgreich, werden sich solche Sponsoren finden, die 400 000 Dollar geben für die richtige X-Prize-Rakete. Dann setzen sich ein Kampfpilot, den Popescu noch anrufen will, er und Simona in die Glasfaser-Kabine. Der erste Flug, gesteht er zögernd, ist ein Liebesdienst an seiner Frau. Vereint zu den Sternen. „Das ist eine romantische Betrachtungsweise.“ In Deutschland hört sich das pathetisch an, nicht in Dragasani.

Die Menschen beugen sich über die Balkone ihrer verwitterten Plattenbauten und starren auf die Rakete, von der frische Farbe tropft. Die Roma-Kinder, sonst von Polizisten verjagt, werden heute geduldet. Abwechselnd kichern und staunen sie. Die Farbfotos vom Space Shuttle, die Popescu an Stellwände hängte, haben sie noch nie gesehen. Örtliche Geschäftsleute, in Anzug und Krawatte, kein Stäubchen auf den Schuhen, halten die Arme verschränkt. Der misslaunige Debile, dessen Narbengesicht schwarz ist vor Dreck, bewacht die Absperrung. Er schleift einen riesigen Knüppel hinter sich her, scheucht damit jeden, der den Zaun überklettern will. Ein paar kleine Jungs in speckigen T-Shirts schnüffeln an der Plastikflasche. Hunderte sind gekommen. Mittendrin die Rakete und der Amerikaner.

Er spricht sanft und lächelt gütig. In dieser Umgebung wirkt er wie Gottvater aus New Mexico. Amerika hat in Dragasani noch den alten tröstlichen Klang. „Es ist sehr aufregend, hier draußen zu sein“, sagt er in die Kameramikrofone. „Mein Eindruck ist, dass sie ganz gute Chancen haben.“ Es gibt immer noch Leute im Publikum, die sich fragen, ob das alles nur ein Scherz ist. Die Mikrofonanlage, die der Bürgermeister versprochen hatte, lieh er kurzfristig einer Hochzeitsgesellschaft aus, sie knistert und knastert. Der Bürgermeister bittet das Arca-Team ins Rampenlicht. Die Menge applaudiert bei jeden Namen: Präsident Popescu, Schwiegervater Truta, der Produktionsdirektor, Schwiegermutter Truta, die technische Beraterin, Popescus Mutter, Frau Finanzdirektorin. Sie alle stehen im schönsten Sonntagsstaat und strahlen. „Sie machen einen guten Job!“ ist der Amerikaner gerührt. Ein pensionierter Unteringenieur, der in den 50er Jahren Hagelraketen in die Weinberge schoss, bahnt sich anschließend den Weg zu Popescu und will ihn mit alten Konstruktionszeichnungen aushelfen. Einen Stapel vergilbter Papiere trägt der 73-Jährige untern Arm. „Ihre Rakete sieht fast so aus wie meine, nur ein bisschen größer. Ach, wenn ich nur etwas jünger wäre! Das wäre ein Spaß!“

„Stellt Euch vor“, sagt Popescu am Ende dieses Tages, zurück im Garten, am Tisch mit dem Pfirsichschnaps. „Diesen Moment. Ich werde die Sterne sehen. Ganz klar. Nicht so verschwommen. Überhaupt ist da oben alles ganz klar.“ Er ist müde. Hunde bellen ringsherum in der Nachbarschaft, springen an den Gartenzäunen hoch, ihre Krallen scharren, überlaut in der Nacht.

Ein Sonnensturm fegt die nächsten Wochen über die Erde. Sonden und Satelliten geraten in schwere See. Die Chinesen feiern ihren ersten bemannten Flug. In der ISS vernehmen die Astronauten ein merkwürdiges Knacken. Die NASA beruhigt sogleich. Nichts Gefährliches.

Der Hexenmeister von Kalifornien schweigt noch immer. John Carmack von Armadillo in Texas ersteigert bei Ebay einen russischen Kosmonautenanzug, der aber ohne Handschuhe in den Staaten ankommt. „In der Anzeige stand, dass sie dabei sind. Wo kriegen wir jetzt nur Handschuhe her?“ ist die Gruppe des Spielemillionärs ratlos. Brian Feeney von Da Vinci in Toronto, die bisher nur Softwaresimulationen anstellen, gibt sich siegessicher. „Wir starten im April!“ Er hat eine neue Simulationssoftware bekommen. Steve Bennett von Starchaser bringt einen Kalender mit Pin-up-Girls heraus. Die sollen Geld in die Kasse bringen. Lasziv räkelt sich eine Blondine um den Düsenhals. Unverändert die X-Prize-Tabelle an der Wand der Manchester Fabrikhalle, auf der Bennett mit Filzstift seine Favoriten einträgt: Starchaser an Platz eins, gefolgt von Canadian Arrow in Kanada. Dort kämpft Geoffrey Sheerin gegen aufziehendes Schneegestöber.

Kanada, Bundesstaat Ontario. Die Kapsel, die die Welt verändern soll, schlittert, schwankt und droht den Jeep von der Landstrasse zu zerren. Der Anhänger schlägt aus wie ein bockiges Tier. Sheerin hält an. „Wir wollen nichts riskieren.“ Starke Böen streichen über die Ebene. Er zieht die Verschnürungen straffer. Als er zurück ins Auto steigt, windzerzaust, durchgefroren, wirkt Sheerin plötzlich nicht mehr wie ein Vertreter für Heimwerkerbedarf. Der akkurate Scheitel ist weggewirbelt, die Bügelfalte und jene Art von Lächeln, die wachen Geschäftssinn verrät. „Okay“, sagt er. „Das wird ein Höllenritt. Aber eine Achterbahnfahrt ist wilder.“ „Canadian Arrow“ setzt nach 60 Jahren die „V2“ wieder in sich zusammen, Mutter der Mondrakete, Verderben von 5000 Menschen im Zweiten Weltkrieg. Den Tod, den ihre Spitze früher barg, tausend Kilogramm Sprengstoff, ersetzt Sheerin durch zwei Touristen und einen Piloten. Für dieses Frühjahr plant er den Jungfernflug. „Die Maschine hatte einen tragischen Beginn, wir wollen es zu einem glücklichen Ende bringen.“ So leicht kommt das einem wohl nur in Kanada über die Lippen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Eine merkwürdige Landschaft. Die Erde ist vollkommen flach, der Horizont so eben, dass sich hier alles himmelwärts zu strecken scheint. Sheerin fährt mit seiner Kapsel durch einen Spalier an Getreidesilos, kolossal stehen sie links und rechts der Strasse, raketengleich, wie startbereit. Für die Menschen im südlichen Ontario ist es durchaus vorstellbar, was Sheerin versucht. Ein verzweigtes lokales Netzwerk sponsert ihn, kleine Ingenieursbüros, mittelständische Maschinenbauunternehmen. An diesem Vormittag kommt er vom Öltankbauer Duff in Petrolia, der den Rohbau der Kapsel herstellte, auf eigene Rechnung, nur mit der vagen Hoffnung, eines Tages Folgeaufträge zu bekommen. Sheerin schweigt über sein Budget. „Wir kommen zurecht“, sagt er bescheiden. Ein Bennett etwa, der noch 2.5 Millionen Pfund für seine Rakete braucht, erblasst da vor Neid. „Canadian Arrow“ ist das einzige Team des Wettbewerbs, das keinen Millionen Mäzen im Rücken hat und trotzdem rundum finanziert ist.

„Junge, das geht in Ordnung“, sagte seine alte Mutter, die von den Deutschen in Glasgow ausgebombt worden war. „Du fängst ja damit etwas Gutes an.“ Absolution holte sich Sheerin für sein Projekt von höchster Stelle. Die „Wunderwaffe“ der Nazis sei nun mal kostenmäßig nicht zu schlagen, schwärmt der gebürtige Schotte. Es gebe auf der Welt kein Triebwerk, das erprobter, verlässlicher sei und so häufig gestartet wurde wie das der „V2“. „Wir müssen die ganze Ingenieursarbeit doch gar nicht mehr machen, das hat schon Wernher von Braun getan.“ In den Schränken seines Büros stapeln sich Kopien von Konstruktionsplänen aus Peenemünde, sechs Jahre hatte er in Museen und Archiven recherchiert. Er schrieb auch das Deutsche Museum in München an, verschwieg dabei aber umsichtig, was ihn wirklich antrieb. „Ich hatte Angst, die zu erschrecken.“

Der „V2“-Motor, den Sheerin für 150 000 kanadische Dollar wiederauferstehen ließ, gleicht einer Riesenkrake. Ein Dutzend Tentakel hängen an ihr, aluminiumumwickelte Schläuche, durch die fließt der Treibstoff, ein Gemisch aus flüssigem Sauerstoff, Alkohol und Wasser. „Jetzt sagen Sie schon!“ umrundet Sheerin mit Bauhelm fröhlich die Krake. „Ist sie nicht schön!?“

Der Countdown der Kanadier ist schon angezählt. Im Frühjahr soll es losgehen, früher als Rutan, früher als Bennett, glaubt Sheerin. „Das Rennen ist noch lange nicht ausgemacht. Lindbergh hatte damals auch als Underdog gewonnen.“ Die sechs Astronautenplätze, die die ersten zwei „V2“ probefliegen sollen, hat der Kanadier international ausgeschrieben. Tausend Bewerbungen verstopften für Wochen den Briefkasten seines kleinen Büros. Das Triebwerk bestand kürzlich die erste Feuerprobe mit Bravour, 500 000 Pferdestärken rappelten im Versuchsstand. Der Test der Kapsel steht bevor. Lou van Amelsvoort, Alarmanlagenunternehmer mit Fallschirmspringervorkenntnissen, furchtlos dazu, wird sich in sie hineinzwängen. Ein Helikopter soll beide aus sieben Kilometer Höhe fallen lassen, um sicherzustellen, dass die Fallschirme sich öffnen. Der Astronautenanzug ist fertig. Das Space Training Center eröffnet in Bälde auf 5000 Quadratmetern. Sheerin hat die Halle eines pleite gegangenen Sportzentrums angemietet und will dort Astronautenkurse für alle Interessierten anbieten. Eine Zentrifuge wird sich dort drehen und jedem für 10 000 kanadische Dollar das Wangenfleisch über die Kopfhaut ziehen.

Die Ankunft der Touristen hat Canadian Arrow bis ins Kleinste bereits geplant, Verträge mit Hotel und Busunternehmen sind ausgehandelt. „Wir werden die ersten sein, die Profit machen“, ist sich Sheerin sicher. Eine Helikopterfirma soll die Kundschaft direkt vom Training Center zum Startplatz fliegen. „Man will ja etwas bieten“, sagt er. Ein Maschinenbauer sponsert die Schiffsplattform, von der – knapp vor der US-amerikanischen Grenze im Huronsee – die Ferien-V2 starten soll.

Die kanadische Luftaufsichtbehörde gab bereits ihr Einverständnis. „Das erste X-Prize-Team mit Startgenehmigung!“ sagt Sheerin. Rutan hat noch keine. In den USA streiten sich die Behörden, wer zuständig sei. Luftaufsichts- oder Weltraumbehörde? Schließlich will der zu erwartende Massenverkehr von auf- und niederkommenden Touristenschiffen koordiniert sein. Ein neues bürokratisches Problem. In den nächsten Monaten soll eine Entscheidung fallen.

Der Tod schreckt sie nicht. Tote kalkulieren die Organisatoren ein. „Es sterben womöglich Menschen“, so Peter Diamandis. „Davon dürfen wir uns nicht abhalten lassen. Es ist nicht möglich, Grenzen zu erweitern ohne gewisse Risiken zu akzeptieren.“ Bevor Lindbergh den Orteig-Preis gewann, kamen sieben Piloten ums Leben. Verschollen, zerschellt, verbrannt. Wo Nasa, Esa, selbst die Russen hunderte Testläufe durchführen, um die Stabilität eines Triebwerks abzuklären, begnügen sich die meisten X-Prizler mit einem knappen Dutzend. „Oh Gott“, ist der knappe Kommentar des Esa-Teststand-Leiters Wolfgang Koschel, der in Baden-Württemberg die Ariane durchfeuert.

Steve Bennett zündet seine Rakete vom Cockpit aus, weil niemand anderes durch Bennetts Unfalltod belastet werden soll. Er will in einen Jahr von Australien aus starten. Und wie endet der Tag für Captain David J. Ballinger, Kampfpilot im vorgezogenen Ruhestand, wenn er als erster den Feuerstrahl des „Canadian Arrow“ zu reiten versucht? „Ich war im Kosovo“, sagt Ballinger. „Ich glaube nicht an den Tod, jetzt nicht mehr.“

„Plötzlich Flammen, überall Feuer. Ich sitze im Cockpit“, träumte es neulich Popescu in Rumänien. „Ich fühle die Hitze, meine Haut wirft Bläschen, ich denke, was habe ich getan! Da öffnet Neil Armstrong die Luke. Er lächelt. Und er bringt mich mit einem Flugzeug wieder auf die Erde.“ Rompetrol, zweitgrößtes Ölunternehmen des Landes, finanziert mit 6000 Euro und 3000 Euro Materialspenden den ersten Testflug. Die Präsentation war ein Erfolg. Familie und Freunde reisen in den kommenden Monaten an die Küste, um „Orizont“ zu zünden. Die Aufregung ist groß. So weit weg von Zuhause waren sie selten. Es soll dort so schön sein: das Meer.

 

Die 10 Millionen Dollar gewann am 21. Juni 2004 der Amerikaner Burt Rutan mit seiner Firma Scaled Composites. Der 62-jährige Testpilot Michael Melvill erreichte als erster Mensch mit einem privat finanziertem Raumfahrzeug den Weltraum. Unter den Augen vieler tausend Besucher hob die SpaceShipOne an Bord des Trägerflugzeuges White Knight in der kalifornischen Mojave-Wüste zu ihrem Flug ins All ab. Zusammen mit Virgin Atlantic gründete er die erste Spaceline, die derzeit einen Sechssitzer entwickelt. Das Team in Rumänien jedoch baut unverdrossen weiter.

   
 
 
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