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PHOTOGRAPHIE Theodor Barth

 

Die Schutzengel.

Iris Baumgärtner vom Verein „Animal Angels“ kündigte ihren Job und

verfolgt heute Tiertransporte durch ganz Europa.

 

 

Die Haut reißt mit einem mechanischen Geräusch, das an das Sirren eines Reißverschlusses erinnert. Über dem Hafenbecken von Beirut hängt ein lebendes Rind an einem Lastkran. Festgezurrt an einem Vorderlauf baumelt es in der Luft. Das Tier wird vom Schiff auf den Laster zum Schlachthof verladen. Es ist kotverschmiert, blutverklebt und zu schwach, um zu laufen. Am Lastkran geht seine Haut in Fetzen, unter seinem eigenen Gewicht reißen die Sehnen, kugeln die Gelenke aus. Das Ende einer Reise, die eine Woche dauert, in Ostdeutschland beginnt und sich auf diese oder ähnliche Weise wiederholt - jeden Tag.

Ewiger Kreisverkehr, ewiger Kreislauf von Waren und Gütern, ereignisloses Dahinkriechen auf der rechten Spur. Die Maloche macht der Berufskraftfahrer zweimal die Woche. Immerfort ist er unterwegs, zwischen Ostdeutschland und Italien, Italien und Ostdeutschland, mit fünf Achsen und 40 Tonnen. Europa ist ihm ein Dorf. Er kommt an diesem Nachmittag aus dem Pissoir der Autobahnraststätte Osterfeld, ein massiges Muskelpaket, mit müden rot umränderten Augen. Plötzlich beginnt der Mann zu brüllen, aus Leibeskräften, quer über den Parkplatz, mit überschnappender Stimme. Er reckt die Fäuste, Goldkettchen wirbeln an den Handgelenken. Auf den O-Beinen eines Bodybuilders rennt er über den Platz. Er brüllt: „Ihr Fotzen!“

Iris Baumgärtner hat soeben den rechten Hinterreifen des LKWs bestiegen, Petra Kandzian den linken. Sie spähen durch die Lüftungsschlitze, notieren, was sie im Halbdunkeln des Wagens sehen, fotografieren, alles ganz hastig, klettern auf die vorderen Reifen, während ihnen der Schreihals in Truckersandalen entgegenstürmt.

Stundenlang sind sie ihm gefolgt. Am frühen Morgen hatten sie den silberglänzenden Transporter auf der Autobahn bei Halle entdeckt und sich hinter ihn gehängt. Sie hofften nicht aufzufallen, den Ahnungslosen ahnungslos zu lassen und hielten stets mehrere Laster Abstand. So fuhren sie von Sachsen-Anhalt nach Thüringen und von dort nach Bayern. Aus dem Morgennebeln der Elbniederung in den Schnee der Voralpenlandschaft. Die Pinkelpause des Truckers ist ihre Chance. Er hat alte Milchkühe geladen, Ziel Triest und die Verschiffung in den Libanon. Im Halbdunkeln des Laderaums schimmern neugierige schwarze Augen.

Der Wüterich ist nur noch Meter entfernt. „Weg da! Das ist mein Eigentum!“ Baumgärtner springt vom Reifen, kurz bevor sie der Mann hinabstoßen kann. Sie weicht einige Schritte zurück, hebt beschwichtigend die Arme. „Wir wollen nur nach den Tieren sehen. Wann haben Sie zuletzt die Tiere versorgt?“ Es fehlt jetzt nicht viel und der Viehfahrer schlägt zu. Er tänzelt vor den Frauen auf und ab, Fuß vor und zurück, unschlüssig wohin mit seiner Wut. Fluchend verschwindet er schließlich in der Fahrerkabine und rast auf die Autobahn.

Dieses Mal ist es ohne Blessuren ausgegangen. Iris Baumgärtner, 37, und Petra Kandzian, 31, kennen prekäre Situationen. Sie gehören zu ihren Berufsbild. Ihr Arbeitsmittel ist ein schwarzer VW Passat TDI, PS-stärkster Motor der Baureihe. Die beiden sind festangestellt, renten- und sozialversichert und arbeiten für die Tierschutz-Organisation „Animals‘ Angels“. Tausend Mitglieder stark, 30 Aktivistinnen, die meisten strenge Veganerinnen. Vorsitzende ist die Pfarrerin Christa Blanke, die mit Spendengeldern vor vier Jahren die ersten Teams ausschwärmen ließ, um Tiertransporte zu verfolgen und kontrollieren. Das Elend auf Europas Strassen ist eines der jammervollsten Kapitel der industriellen Landwirtschaft. Seit in den 70er Jahren die EU das Netz der lokalen Schlachthöfe zerstörte und große, kostengünstigere Tötungszentralen subventionierte, nahm das Tierleiden auf den Straßen ein ungeheures Ausmaß an. Jedes Jahr werden über 250 Millionen Tiere durch den Kontinent gekarrt, zehn Prozent, schätzen Veterinäre, sterben auf diesen Fahrten, kollabiert, verstümmelt, zertrampelt und qualvoll erstickt. Das alles passiert unbeachtet, inmitten von Reiseverkehr und fröhlich dudelnder Hitradios. Das Ziel der „Animals‘ Angels“ ist die Lastzüge des Leidens zu stoppen und irgendwann sinnloser Gewalt gegen Tiere ein Ende zu machen.

Der Automatenkaffee in der Raststätte tut jetzt gut, Schlaf haben Baumgärtner und Kandzian kaum gehabt, die Schlachthöfe öffnen lange vor Morgengrauen, das ist auch die Zeit der Transporte. „Spinner,“ murmelt die erschöpfte Baumgärtner mit Pappbecher in der Hand, als der tobende Trucker längst entschwunden ist. Dabei hatte es bei ihm nichts zu beanstanden gegeben. Er hatte nicht zu wenig und nicht zu viel Kühe an Bord, 32 Stück, ihr Zustand schien okay, kein Blut, kein Schaum, kein Schweiß. Die Einstreu war in Ordnung, der Wagen auch. Jedes Detail protokolliert Petra Kandzian sorgfältig, während der Kaffeepause ist die kleine zierliche Frau tief in den Seiten des Berichtsbuchs vergraben. Die Kladde ist das Gedächtnis des Vereins, dort findet man die hässlichsten Fratzen der Agrarwirtschaft.

„Wir sehen Augenhöhlen, die nur noch eine blutige Masse sind“, heißt es im Fahrtenbuch über einen Pferdemarkt in Belgien. „Die Beine des Tieres haben so tiefe Verletzungen, dass der Knochen sichtbar wird. Viele Pferde haben solche Schmerzen, dass sie weder laufen noch stehen können. Eine Stute stürzt beim Ausladen auf die Rampe des Lastwagens und ist auch mit Prügeln und Messerstichen nicht zum Aufsteigen zu bewegen.“ Kandzian verstaut die Kladde im Handschuhfach, es geht weiter, am Rande des Parkplatzes mit Sicht auf die Autobahn legt sich das Team erneut auf die Lauer.

Das gleichförmige Dröhnen der Strasse hat betäubende Wirkung und lässt Baumgärtner in den nächsten zwei Stunden tief in ihre Sitzschale sinken. „Du tickst nicht mehr richtig, sage ich mir manchmal. Warum mute ich mir das zu?“ Baumgärtner entspricht dem Klischeebild der Tierschützerin so gar nicht. Vor den „Animals‘ Angels“ war die Pfälzerin gut verdienende Gutachterin für schadstoffverseuchte Böden. Die hochgewachsene Frau ist ganz die disziplinierte Naturwissenschaftlerin, karrierebewusst, die sich im Job den Bauch meist verbietet. Demnächst sollte sie in ihrem Unternehmen befördert und mit wichtigeren Projekten betraut werden. Die Kollegen im Büro klopften ihr schon gratulierend auf die Schulter, riesig, Iris, riesig, da warf sie eine halbstündige Fernsehsendung aus der Bahn. „Es war das aufwühlendste Erlebnis meines Lebens“, sagt Baumgärtner heute über den Dokumentarfilm, der ihr zum ersten Mal die ganze Brutalität von Tiertransporten zeigte. Sie, die sonst so gar nicht zur Hysterie neigt, die heftig flucht über die Unbeherrschtheit anderer, erbrach sich hinterher auf dem Klo. Ihren Job kündigte sie wenige Monate später. „Alles erschien mir jetzt wie Pillepalle.“

Es gehört ein geübter Blick dazu, die Transporter mit ihren schmalen Lüftungsschlitzen zu erkennen, sie im Verkehrstrom nicht mit Containern oder Kühlwagen zu verwechseln. Ein Glitzern auf der Gegenfahrbahn reißt Baumgärtner aus ihrem Halbschlaf. „Petra, anschallen!“ ruft sie ihrer Beifahrerin zu, geht aufs Gaspedal, schwenkt in die Autobahn, rast dann in Richtung nächste Ausfahrt - 15 Kilometer, in denen sich der Lastwagen immer weiter von ihnen entfernt. „Wahrscheinlich Fleckvieh. Wahrscheinlich für Holland.“ Scharf in die Ausfahrt, hinauf auf die Autobahnüberführung und wieder hinab, mit 220 Stundenkilometern den Tieren nach. „Der könnte uns durch die Lappen gehen.“

Diese Jagd hat wie jede Jagd ihr Fieber, und wie weggeblasen ist die Müdigkeit von vorhin. Zwanzig Minuten später taucht der Transport sanft schaukelnd am Horizont auf. Baumgärtner bremst sachte ab. Der Fahrer soll seine Verfolgerinnen nicht bemerken, er könnte die gesetzlichen Pausen machen, nach viereinhalb Stunden einen Fahrerwechsel vornehmen, er könnte die Tiere versorgen – all die Vorschriften einhalten, die er sonst vielleicht ignoriert. Fortan warten die Frauen auf seine Fehler. Sie werden an ihm dran bleiben durch Nacht und Tag, durch Nebel und Schnee, die Nummern der Autobahnpolizei im Handschuhfach. Die Dienststellen sind die Tierkontrollen der „Angels“ bekannt. Gewöhnlich winkt die Polizei den Laster innerhalb von zehn Minuten von der Straße, wenn Kandzian Verstöße durchgibt.

Die „Angels“ haben unter Europas Viehhändlern einen Ruf wie Donnerhall. Ihre Rechercheteams ermitteln in der Branche meist verdeckt und bedienen sich allen Mitteln der Detektivkunst. Sie fotografieren aus Sonnenbrillen heraus, filmen aus Knopflöchern. Anwohner von Speditionen versorgen sie mit Informationen über Abfahrtzeiten und Häufigkeit der Transporte, befreundete Viehfahrer mit Internas und Daten über Routenänderungen. Nach achtmonatigen Recherchen gelang es den Tierengeln, wegen Tierschinderei einen traditionellen Pferdemarkt in Brüssel-Molenbeek schließen zu lassen. Sie haben erreicht, dass im Hafen von Bari Veterinäre präsent sind und die Verschiffungen überwachen. Dass Slowenien an der Grenze zu Italien eine Versorgungsstation für Tiere baute. Dass in Ägypten eine nationale Konferenz über bestialische Tötungsmethoden in den Schlachthöfen zustande kam. Ständig formulieren sie Anzeigen gegen Schlachthöfe und Speditionen. Das rückt sie selbst ins Fadenkreuz. Viel Hass ist auf der Gegenseite, große Existenzangst und manchmal auch blinde Wut.

„Sehen Sie sich vor!“ warnte der Abteilungsleiter einer großen deutschen Spedition Iris Baumgärtner unlängst. „Fahren Sie nicht nach Frankreich, da will man ihnen ans Leben.“ Morddrohungen kommen bei „Animals Angels“ herein wie bei anderen Leuten Postwurfsendungen. Die Speditionen, die mit den Frauen zusammenarbeiten und nach Kontrolle durch Baumgärtner ihre Transporter gar mit der Plakette zieren: „Von den „Animals Angels geprüft und für gut befunden“ sind in der Minderzahl. Baumgärtner hält ihren Wohnort geheim. Immer wieder versuchen Brummifahrer, Mitarbeiterinnen der Tierschutzorganisation von der Straße zu drängen. Andere holen sich via Funk Unterstützung von Kollegen, nehmen die Frauen mit zwei 40-Tonnern zwischen die Stoßstangen. Holländische Fahrer knüppelten diverse Male mit Baseballschläger auf die Wagen ein. Während der Observation des Firmengeländes einer holländischen Spedition attackierte ein Bulldozer die Frauen. Er hob ihr Auto vom Heck an, drohte es umzuwerfen. Die herausspringende Tierschützerin wurde von Männern der Spedition gehetzt und mit dem Kopf in einen Wassergraben gepresst. Das war vor drei Jahren. Die Frau ist noch heute wegen eines Ertrinkungstraumas in Behandlung.

Im Vorgarten von Vereinschefin Christa Blanke brennt Tag und Nacht eine Kerze, die den Teams Lebenslicht sein soll. „Brennt meine Kerze noch?“ fragt Baumgärtner manchmal nur halb im Scherz, wenn sie im Auto den täglichen Routineanruf von Blanke erhält. Die Beziehung des Menschen zu Tieren, sagt Baumgärtner, ist von Gewalt geprägt. Diese Gewalt wende sich auch gegen Menschen, wenn sie sich auf die Seite der Tiere stellen.

Es steht viel Geld gegen die Frauen. 18,3 Milliarden Euro setzte die deutsche Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 1999/2000 mit Tieren um, 4,6 Milliarden mit dem Fleisch von Schweinen, 4,6 Milliarden mit dem von Rindern. 60 Millionen Tiere schickten die Deutschen auf die Reise, 5,2 Millionen in den Export, davon 135 000 in Drittstaaten außerhalb der EU – von allen Mitgliedsstaaten mit Abstand am meisten. Die Langstreckenfahrten bedeuten für die einen Qualen, für die anderen Gewinne. Auf jedes Rind, das in Beirut am Lastkran baumelt, zahlt der Steuerzahler über den EU-Agrarhaushalt 511 Euro Subvention, im Jahr löhnt er für Drittländerexporte 25,6 Millionen Euro. Die Gemeinschaft produziert zu viele Rinder, die arabischen Mittelmeerstaaten zu wenig. Kühltransporte werden von den Muslimen nicht akzeptiert, sie wollen schächten. Die Praxis dieser Fernexporte wird seit Jahren kritisiert, aber auch geballter Protest von rot-grüner Bundesregierung und EU-Parlament konnten daran nicht rütteln.

Die Autobahn ist ein greller Strahl in der Nacht und wirft Gischt auf Iris Baumgärtner. Zusammengekrümmt, frierend trotzt sie den Fontänen der Asphaltbrandung, kurz nach ein Uhr. Es schüttet eiskalten Regen. „Wir haben ihn verloren“, murmelt Baumgärtner in den Jackenkragen. Sie steht auf einem Grünstreifen am Rande der Autobahn, den Tränen der Erschöpfung nahe, mit verschränkten Armen, aber geballten Fäusten, und starrt auf den mitleidslos röhrenden Verkehr. Bis hierhin hatten die Frauen den Fleckviehtransporter verfolgt, dann verschwand er.

Es muss zu einer besonders unglücklichen Konstellation gekommen sein. Der Truck war auf einem Rastplatz zu einer zweiminütigen Pause ausgerollt, zu kurz, um an die Tiere zu kommen. Als er zurück auf die Autobahn fuhr, verlor sich seine Spur. Ein vier Meter hoher Kastenwagen wie in Luft aufgelöst. „Das darf uns nicht passieren“, hadert Baumgärtner. Vielleicht war der Lkw extrem langsam und wurde von einem anderen überholt. Vielleicht hat ihn ein Lkw absichtlich gedeckt. Oder ist er bei der nächsten Ausfahrt raus, aber dann hätten sie ihn doch gesehen? Irgendwann gibt Baumgärtner auf, völlig durchnässt, und bezieht mit Kandzian eine billige Truckerpension.

Nur Frauen sind zäh genug für dieses Katz- und Maus-Spiel, sagt Vereinsgründerin Blanke. In den meisten Fällen eigneten sich Männer für diese Geduldsarbeit nicht. „Frauen halten mehr aus. Frauen haben eine feinere Beobachtungsgabe und lösen Konflikte effektiver.“ Einzelne Männer hätten sich in den Verfolgerteams versucht, alle gaben sie auf, und die Frauen blieben. Blanke berichtet aber auch von Truckerjägerinnen, die Nervenzusammenbrüche erlitten, die von schwersten Alpträumen gemartert über Wochen nicht richtig schlafen konnten.

Die Träume lassen Baumgärtner unversehrt. Sie träumt oft von ihrem Pferd „Sandy“. Noch nie ist ihr in der Nacht etwa das ausgemergelte Fohlen erschienen, das sie an einer ungarischen Grenzstation mit Huf im Lüftungsschlitz fanden. Das Tier hatte sich während des Transportes darin verklemmt, über Stunden versuchte es, sich zu befreien. Baumgärtner und ihre Kollegin entdeckten das Tier auf dem Eisenboden liegend, den eingeklemmten Lauf mehrfach gebrochen und furchtbar verdreht. Es musste eingeschläfert werden, das Bein zerhackte der Fahrer mit einer Axt. Solche Erlebnisse machen einsam. „Ich kann es nicht mehr hören!“ stöhnte ihr Freund nach ihrem ersten Monat bei den „Angels“. „Ständig diese schrecklichen Dinge!“ Auch ihre Freundinnen beklagten sich bald über den Horror der sonntäglichen Teerunden. Seitdem behält Baumgärtner die Dinge meist für sich.

Ein neuer Tag, ein neuer Tiertransport, das Team trifft ihn beim Tanken. Nette Jungs sind das, angegriffen fühlen sie sich vom Interesse der beiden Frauen absolut nicht, eher ein wenig geschmeichelt. Fleckvieh hat der Wagen geladen, Halbwüchsige, so genannte Fresser. Baumgärtner darf zu den Tieren, so lange, so dicht sie möchte. „Super!“ sagt sie. „Ihr haltet Ordnung.“ Der eine ist selbstständiger Viehhändler, hat in Holstein seine paar Dutzend Bauern, denen er Tiere kauft und verkauft. Sein Vater war Viehhändler, dessen Vater und möglicherweise dessen Vater Vater auch. Am frühen Morgen besuchten sie mit ihrem 7,5 Tonner einen Viehmarkt, erwarben dort 25 Tiere und sind jetzt auf dem Weg zu Kunden. Baumgärtner lädt in der Raststätte zu einem Kaffee.

„Wenn du Vieh fährst, kannste alles fahren“, plaudert der Trucker beschwingt. Er schimpft über Bauern, die vor Abfahrt noch kräftig füttern, um das Verkaufsgewicht zu heben. „Und wir müssen dann zwei Stunden lang die Scheiße putzen.“ Schlimm sei es bei den holländischen Kollegen. Die prügelten regelmäßig 60 statt der erlaubten 40 Tonnen Rinder auf die Ladefläche. „Wenn die zehnmal fahren und einmal kontrolliert werden, lohnt sich das.“ Pferde könne er nicht fahren, sagt er. „Bei Pferden stünden mir Tränen in den Augen. Ich bin mit denen aufgewachsen.“ So geht es ihm wie den meisten Menschen. Katzen sind Schätzchen, Rinder sind zum Schlachten da.

Zwei weitere Teams von „Animals Angels“ sind in dieser Woche unterwegs. Eines observiert in Rumänien an der Grenze zu Ungarn eine Quarantänestation für Pferde, die offenbar nur zum Schein betrieben wird. In kahlen Lagerhallen stehen immer dieselben Tiere. Die Schlachtpferde hingegen gingen ohne den vorgeschrieben dreiwöchigen Zwischenstopp über die Grenze. Ein Bericht darüber soll demnächst zur EU-Kommission. Das zweite Team inspiziert Schlachthöfe in Portugal. Deutsche Viehfahrer hatten die Tierschützer auf Missstände aufmerksam gemacht. Die Frauen drehen dort Filme, mit offizieller Besuchergenehmigung, die den Magen umdrehen: Schweine am lebendigem Leib gekocht, Hasen, denen vor der Schlachtung unbetäubt die Pfoten abgeschnitten werden. Die „Animals Angels“ schreiben auch hier wieder an die EU und hoffen auf Streichung der Subvention. Bis dahin offerieren sie den Schlachthöfen, Sensibilisierungskurse. Sie erklären den Hasenschlachterinnen, wie kompliziert das Sozialverhalten von Hasen ist, wie viel Lust diese Tiere am Leben haben und wie sehr das Schmerzempfinden des Hasen dem des Menschen gleicht. „Auf diesen Weg bringt das manchmal mehr“, sagt Christa Blanke.

Die Pfarrerin wohnt idyllisch im hessischen Bergland, mit glücklichen Ponys und Ziegen vor der Tür, und nirgends sonst scheinen Gräuel so weit weg wie hier. Unentwegt aber finden sie ihren Weg zu ihr. Zuletzt war es eine Franziskanernonne, die Blanke am Telefon von entsetzlichen Tiertransporten von Albanien in den Kosovo berichtete. Die Rinder erreichten das Land mehr tot als lebendig. Sofort beginnt Blanke, eine resolute und zugleich scheue Frau, mit der Recherche. Die 53-Jährige macht die italienische Hilfsorganisation aus, die die Transporte ins notleidende Kosovo finanziert und konfrontiert sie mit dem Tierleid. Die Italiener bestreiten alles. Also wird wohl das Kosovo zu Baumgärtners nächster Mission.

Zunächst hat sie es noch mit dem Zorn bayrischer Bauern zu tun. Zwei Traktoren mit Hängern blockieren ihr die Ausfahrten eines öffentlichen Parkplatz. „Ich habe den Schlüssel verloren“, zuckt der eine die Schultern. „Der Motor springt nicht an“, zeigt sich auch der andere ungerührt. Baumgärtner kocht vor Wut. Sie hat es auf einen großen spanischen Kälbertransport abgesehen, der auf dem Viehmarkt in Miesbach beladen wurde. Der erste Versuch, den Truck zu observieren, schlug fehl. Aufgebrachte Bauern drängten die Tierschützerinnen vom Auktionsgelände. Baumgärtner entschied sich, den Laster an einer Ausfallstraße abzupassen. Ihr Lauerposten, ein Parkplatz, wird zur Falle. Eine Dreiviertelstunde sitzt sie fest, blockiert von Bauern, die später bei der Polizei angeben, der Spanier sei ihr wichtigster Kunde, ohne ihn könnten sie nicht existieren. Als die Beamten die Tierschützerinnen aus ihrer Zwangslage befreien, ist der Kälbertransport längst über alle bayrischen Berge.

Sie wird es wieder versuchen. Sie kann gar nicht anders. Im Beiruter Schlachthof sah Baumgärtner vor einem Jahr einen jungen verspielten Bullen. „Alle älteren Tiere hatten verstanden, worum es hier geht. Er aber genoss die Freiheit, endlich nicht mehr angekettet zu sein. Er tollte herum, hoppelte übermütig durch die Halle. Im Schlachtgang, kurz bevor ihm mit Dreizack der Hals aufgerissen wurde, reckte er noch einmal seinen Kopf über die Metallwand und schaute mir in die Augen. Als ob er mich gekannt hätte. Als ob er Hilfe von mir erwartet hätte. Er ist so schwer zu vergessen“, sagt Baumgärtner, „dieser Blick.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 
       
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