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 Trommeln gegen die Stille.

  Wie eine zerstörte Stadt den Karneval feiert.

 

 
 

Das Kreischen der Überlebenden überdeckt den Jazz der Kapellen, die Tuben, die Trompeten, mit aufgerissenen Mündern brüllen sie aus Tausenden Kehlen. Dieser Abend gehört den Davongekommenen, ihr Tanz wogt in den Straßen. Die Menschen schleudern ihre Köpfe, werfen ihre Arme, unbändig und wild, als kämpften Nichtschwimmer gegen das Untergehen. Johlend applaudieren sie einander, und das Echo applaudiert ihnen, hin und her wird es zwischen den Häuserwänden geworfen. Frauen reißen T-Shirts hoch, zeigen nackte Brüste. Es regnet Plastikperlenketten von den Balkongalerien. Eine klebrige Schicht aus Bier und Rum legt sich über das Straßenpflaster. Es schmatzt unter den Sohlen. Die Tanzenden erbrechen sich. Einige halten sich weinend in den Armen, starr plötzlich, weil sie nicht gegen ihre Erinnerungen anschreien können. New Orleans feiert den Beginn der Karnevalszeit, des Mardi Gras, Mischung aus Mainzer Fastnacht und Rios Paraden. Größte Party der USA. „Nichts verhindert Mardi Gras! Nichts!“ künden Durchhalteparolen auf gewaltigen Plakaten. „New Orleans ist wieder zurück!“ Sechs Monate nach dem Hurrikan Katrina ist Karneval kein Spaß. Er ist ein Mittel zum Überleben. Der Umzug brennt eine lärmende Schneise in eine ansonsten verlassene und totenstille Stadt.

Völlig überrumpelt ficht der Mensch in New Orleans einen Kampf, den er längst gewonnen glaubte. Der in seiner Verzweiflung einer anderen Zeit anzugehören scheint. Französische Siedler hatten die Stadt dem Wasser vor 300 Jahren abgetrotzt, den Mississippi gebändigt und den Golf von Mexiko. Auf Dämme und Deiche, Pumpen und Entwässerungskanäle gründeten die Städter seither ihr Selbstbewusstsein. „The Big Easy“ nannte man die Metropole des Jazz und der Ölindustrie. Niemand erwartete ernsthaft, dass die Natur dem Menschen seine Eroberung nochmals streitig macht. Doch im Sommer 2005 rissen die beiden Hurrikane „Katrina“ und „Rita“ alles hinweg, Dämme, Pumpen, Selbstbewusstsein. Sie fluteten 80 Prozent New Orleans, das teilweise mehrere Meter unter dem Meeresspiegel liegt, töteten 1300 Menschen, machten eine Million in Lousiana obdachlos, spülten Häuser von Fundamenten, warfen sie nebeneinander und aufeinander. Drei Wochen stand das Wasser in der Stadt. Als es sie endlich frei gab, folgte ihm der Schimmel. In tropisch-üppigen Lappen hängt er von den Wohnungswänden. „Die Indianer wussten, warum sie hier nie siedelten“, zweifeln jetzt manche New Orleaner an ihrer Daseinsberechtigung. Es erscheinen Bücher mit Titeln wie „Die widernatürliche Metropolis“.

New Orleans ist zum Niemandsland geworden zwischen Wildnis und Zivilisation. Noch immer wagt sich der Mensch nur zögerlich zurück. So zögerlich, dass es schon jetzt heißt: Amerika droht eine Stadt zu verlieren.

Die Porzellanteller des letzten Abendessens stehen unberührt auf der Spüle. Briefe, die Kerwin Lafrance, 45, am Morgen vor dem Hurrikan öffnete, liegen auf dem Küchentisch. „Jedes Mal weiß ich nicht, wo ich anfangen soll“, sagt der Landschaftsgärtner inmitten des stinkenden Breis, der einmal Wohnung war. Immer am Wochenende, wenn er Zeit hat, gräbt er in den Überresten seines Lebens. „Mein Gott“, ruft er, als er ein welliges Gemälde unter der Sedimentschicht entdeckt. „Das hat mein Bruder gemalt.“ 700 Meter von hier brach zwei Tage nach „Katrina“ der Damm eines Industriekanals und setzte das gesamte Viertel des Lower Ninth Ward bis zu vier Meter unter Wasser. Der provisorisch geflickte Deich brach erneut, als Hurrikan „Rita“ drei Wochen später übers Land mahlte. Im Haus links ertrank der Nachbar, ein menschenscheuer, erinnert sich Lafrance, einer, der zu störrisch war, rechtzeitig zu fliehen. Die Bewohnerin des Gebäudes zur Rechten gilt als verschollen. Mehr als ein Drittel aller Toten New Orleans stammen aus Lafrances Nachbarschaft.

„Alle nennen mich Love hier“, sagt er und vergisst für einen Moment, dass es kein hier mehr gibt. Das afroamerikanische Armenviertel, das am niedrigsten gelegene der Stadt, ist eine Splitterstätte aus Mauerfetzen, Holzwänden und in Schlamm verbackenen Autowracks. Nur wenige Häuser wie das seine stehen überhaupt noch. Vor Katrina arbeitete Lafrance als Gärtner, schnitt Hecken und Zierbäume. Er zeigt in diesen Vorgarten und in jenen. „Alte Kunden.“ Viele Musiker lebten hier, die in New Orleans` Jazzkneipen spielten. Tastenstränge von Klavieren ragen aus den Trümmern wie entfleischte Wirbelsäulen. Madonnenstatuen. Bibeln. Hinter Glas gelegte Aktienscheine. Hier und da scharren Männer im Schutt nach Habseligkeiten. Einer schlägt ein Loch ins Dach, unter dem sein Haus zerstob. „Ich suche unser Hochzeitsfoto“, sagt er. „Meine Frau hängt so daran.“ Die Ausbeute von fünf Stunden Arbeit: Eine DVD und ein paar Familienbilder, deren Farben ineinander zerlaufen. Die Welt ist immer noch in Auflösung in New Orleans, jeden Tag verschwindet sie ein bisschen mehr.

Nur rund 100 000 von früher einer halben Million Einwohner sind zurückgekehrt. Die Hälfte der Geschäfte und kleinen Unternehmen haben aufgegeben. 75 Prozent der Krankenhäuser sind zu. Die Innenstadt wirkt wie frisch evakuiert. Die Verwaltung ist pleite. Bürgermeister Ray Nagin reist verzweifelt den Geflohenen hinterher. Über 44 Bundesstaaten der USA ist die Bürgerschaft verstreut. „Ich vermisse euch“, flehte Nagin neulich in Atlanta, wo noch 60 000 Evakuierte leben. „Ich möchte euch alle zu Hause in New Orleans haben.“

Die Stadt hat sich in ihre Hotelburgen zurückgezogen, auf deren Fluren drängt sich jetzt das Straßenleben von einst. „Die Kinder kommen mir abends nicht mehr vor die Tür“, schimpft Jerome Edwards, 43, fünffacher Vater im Zimmer 331 des „Roundtowner Hotel“. Zehntausende Obdachlose leben seit Monaten zusammengepfercht in den Herbergen, letzte Bastionen in einem Sumpf aus schimmelnden Ruinen. Die Katastrophenschutzbehörde FEMA begleicht die Rechnungen. „Die saufen hier wie wahnsinnig, ständig diese Schlägereien, und Marihuana qualmt aus jeder Ritze.“ Die Zimmermädchen lässt er nicht mehr hinein, seit immer wieder Sachen verschwanden. Zu siebt wohnen die Edwards auf 21 Quadratmetern. Zwei Kinder teilen sich jeweils ein Bett, der ältesten Tochter bleibt der verfilzte Teppichboden, den Eltern auch. Er liegt vor der Tür, sie vorm Bad. „Ich habe seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen,“ klagt der Elektriker, der tagsüber am flutdemolierten Haus der Familie arbeitet. „Einer schnarcht immer. Einer weint immer.“

Die Edwards sind die ersten, die es in ihrer Straße mit dem Wiederaufbau versuchen. Ihr seid nicht bei Verstand, sagen die alten Nachbarn. Das Viertel ist kontaminiert, toxischer Schlamm überall. Schimmelsporen. Abrissarbeiter, die in weißen Schutzanzügen und Atemmasken durch die Gegend streifen. Denkt an die Kinder! beschwören sie die siebenköpfige Familie. In New Orleans leiden viele Ausharrende unter neuen Krankheiten. „Katrina-Husten“, blutig rote Hautausschläge und Allergien. Der Morast, den die Flut zurückließ, samt Industriechemikalien der nahen Raffinerien, den Abwässern und Pflanzenvernichtungsmitteln, ist zu rissigen Schollen erstarrt und zerpudert nun zu Staub. Ihn atmen jetzt alle ein. Doch Marylin Edwards beharrt. „Die Familie wohnt hier seit 70 Jahren: Wir wollen zurück nach Hause.“ Früher jedoch als sie möchten, zwingt sie die FEMA das zu tun. In zwei Tagen stellt sie die Zahlungen für das Hotelzimmer ein. Edwards werden in einen Trailer in der Auffahrt ihres Hauses ziehen, ohne Strom, Gas und Lebensmittelgeschäft in der Nähe. „Wir sollen wir waschen?“, ist Edwards ratlos. „Wie sollen wir heizen?“ Die Kinder, mürbe gemacht von sechs Monaten Langeweile, würden gerne wieder zum Schulunterricht. Ein unerfüllbarer Wunsch. Nur wenige Schulen haben bisher wieder offen.

Die Löhne verdoppelt Mc Donald, Burger King bietet einen Bonus von 6000 Dollar bei Neueinstellung. Viele Laden- und Restaurantbesitzer würden gerne wieder aufmachen, aber es arbeitet niemand mehr bei ihnen. Kaum eine Bar, an deren Tür nicht ein Zettel hängt: „Bedienung gesucht!“ Die Leute wissen nicht, wo wohnen. Die Mieten zudem explodieren, das zweifache, dreifache wird verlangt. Sogar der Stadtpolizei laufen die Polizisten weg, viele lassen sich in anderen Städte anheuern. Ihre Familien leben auf dem Kreuzfahrtschiff „Ecstasy“ am Mississippi-Kai, jetzt endet aber der Kontrakt mit der Reederei. Die Sheriffs wissen sich keinen Rat.

Im Zimmer 332, gleich neben den Edwards, hat Trina Sa eingecheckt. Identische Ausstattung, zwei Betten mit braunem Überzug, dazwischen ein Kitschaquarell. Schluchzend sitzt sie am Telefon. „Tut mir leid, meine Tochter hat Fieber“, entschuldigt sie sich beim Besuch. Seit „Katrina“ ist sie von ihren vier Kindern getrennt. „Das Wasser stieg bis zum zweiten Stock. Vier Tage haben wir auf dem Dach auf Hilfe gewartet.“ Als endlich ein Rettungsboot kam, war nur Platz für die Kinder. Die Besatzung versprach, zurückzukehren – was sie nicht tat. Zwei Monate brauchte Sa, um sie alle bei Gastfamilien wiederzufinden. Söhne in Texas, Töchter in Georgia. Den Nervenzusammenbruch erlitt sie erst vor zwei Wochen.

Eine Etage höher, auf Zimmer 417, versucht Darnell Robertson, 49, so zu liegen, dass die Schmerzen erträglich bleiben. Er lebt in einem Raum ohne Aussicht, es gibt kein Fenster, nur ein Gardinenrahmen, der eines vortäuschen soll. Drei Tage vor „Katrina“ ist Robertson ins Koma gefallen, Hirnschlag, erst zweieinhalb Monate später ist er aus ihm erwacht. Die Evakuierung aus dem Krankenhaus, die Suche seiner Familie nach ihm, die Pfändung seines Hauses, weil er ohne Krankenversicherung die Behandlungskosten nicht mehr begleichen konnte - nichts hat er mitbekommen. „Die haben mich im Krankenhaus vor den Fernseher geschoben“, sagt er. „Ich habe die Bilder von New Orleans gesehen und nichts begriffen.“ Zwei Taschen Gepäck und ein Stapel Krankenhausrechnungen sind nunmehr sein einziger Besitz. Sie alle im Hotel wissen nicht voneinander, gehen sich auf den Fluren aus dem Weg. Auch James, der sich als Jonas sieht, der Gay, der alles im vergangenen Jahr verlor, seinen Freund an Aids, seinen Job als Koch und all sein Eigentum an „Katrina“. Vier Hunde sind ihm geblieben, drei davon von seinem Freund. Mit ihnen lebte er monatelang im Auto, jetzt im Zimmer 123. „Ich bin der Jonas aus der Bibel“, sagt er. „Ich ziehe alles Unglück an.“

Die Party soll eine gewaltige werden, sinnesraubend, hinreißend. Fieberhaft arbeiten die Karnevalsvereine, die Krewe, durch die Februarnächte. „Die Flut hat uns sechs Wochen in Verzug gebracht“, klagt Richard (Ricky) Pelanne, während er Glitterplättchen an ein blau leuchtendes Kostüm näht. „Das ist schwer, aufzuholen.“ Seine Hände sind rot geschwollen, die Plastikfedern reizen die Haut. Einzeln nestelt er sie an den 1,80 Meter hohen Kragen. Zu eigentümlichen Schmetterlingen verpuppen sich die Faschingsprinzen- und prinzessinnen hierzulande. Im Garagenanbau eines höher gelegenen Vorortes, der bei „Katrina“ nur Dachschäden davontrug, nähen und sticken zehn Mitglieder der „Krewe of Aquila“. In den 30 Jahren seit Vereinsgründung haben sie keinen einzigen Mardi Gras ausfallen lassen. Peronne, dessen Haus an der Golfküste stand, kampierte nach der Katastrophe vier Monate lang mit Frau und Tochter in einem Zelt. Jetzt teilen sie sich einen Trailer, ein Windfang auf einer planen Fläche Land, das einst ihr Haus gewesen ist. Sogar das Fundament nahm ihnen der Sturm. „Ich hatte so viele Kostüme“, trauert er. „Eines habe ich zerfetzt auf einem Friedhof gefunden.“ Er checkt die Uhr: noch 43 Stunden zum Maskenball.

Mardi Gras ist dieser Stadt Magie. In der Not klammert sie sich an den Karneval wie an einen Wunderheiler. Es heißt: Danach wird alles gut. Touristen werden endlich wieder das verwaiste French Quarter bevölkern. 40 Prozent des Steueraufkommens der Stadt speiste bislang der Fremdenverkehr. Während viele Bewohner nicht wissen, wo die nächsten Nächte schlafen, bemängeln die „Captains“ der Krewes an den gigantischen Umzugswagen letzte Unzulänglichkeiten. In den Werkstätten der traditionellen Pappmaché-Firmen korrigieren sie am „Todes-Wagen“ den Schattenwurf in den Augenhöhlen der Skelette. Das Grün auf Frankensteins Wangen ist ihnen noch zu vital, hier und da müssen auch noch Fetzen von Goldfolie dran. Wie Haubitzen im Armeehangar stehen hier die Festwagen in langen Reihen paradebereit. Die meisten Krewes haben dieses Jahr das Thema „Monster“ bestellt.

Nicht allen ist zum Feiern zumute. „Ich knall euch ab!“ rannte vor einigen Tagen ein Mann den Deich am Lower Ninth Ward hinauf. Ingenieure der US-Army sind dort unter Hochdruck dabei, den 250 Meter langen Dammbruch zu beheben. „Ich erschieße euch!“ Der Mann hatte während „Katrina“ seine Mutter verloren. Es gibt hartnäckige Gerüchte, der Deich sei in die Luft gesprengt worden, um ein gegenüberliegendes Industrierevier zu schützen. Das Vertrauen in die Behörden ist so zerstört wie der Vertrauen in die Deiche. Anfang Juni müssen 49 Bruchstellen repariert sein, dann beginnt die nächste Hurrikan-Saison. Meteorologen sagen die doppelte Zahl an Stürmen voraus, 40 sollen es werden, und doppelt so schwere, nämlich neun in der Kategorie vier. Das ist die „Katrina“-Klasse. Der Wettlauf zwischen Ingenieuren und Hurrikans ist im vollen Gange. Zehntausende Einwohner warten im Landesinneren auf den Ausgang des Kräftemessens. Firmen halten Investitionen zurück, Banken Kredite. Der Bürgermeister fordert mehr Schutz: stärkere Deiche, die Renaturierung der Feuchtgebiete im Mississippi-Delta und Riesenschleusen wie am holländischen Ijsselmeer. Allein die neuen Dämme würden 32 Milliarden Dollar kosten, nur 1,6 Milliarden hat die Bush-Regierung bewilligt. Brechen heuer die Deiche noch einmal, sagen viele, ist New Orleans endgültig verloren.

Im „Roundtowner-Hotel“ gibt es jetzt fast täglich eine Razzia, die Polizei führt Hunde von Tür zu Tür. Security-Mann Roman, muskelbepackt, aber Bernhardinerblick, ist schweiß bedeckt. Den letzten Job als Torwache eines FEMA-Trailerparks am Lower Ninth Ward, 65 Caravans hinter Maschendraht, gab er vor drei Tagen auf. „Ständig Schießereien“, sagt er. „Die schießen auf uns, wir schießen auf die.“ Die Gesetze der Gangs haben auch in den provisorischen Unterkünften ihre Gültigkeit. Vor „Katrina“ besaß New Orleans die nach New York höchste Mordrate der Staaten. Vom Hotel versprach sich Roman eine ruhigere Zeit. „Das wird noch“, macht er sich Hoffnung. In zwei Monaten will ihn die Firma versetzen. „Somalia oder Afghanistan. Da kann es auch nicht schlimmer sein.“

Die Stadt kommt nicht zur Ruhe. Die Gebäudeversicherungen drohen pleite zu gehen. Die FEMA, deren Direktor kurz nach „Katrina“ wegen eklatanten Missmanagements zurückgetreten musste, bleibt in die Schlagzeilen. Ein Skandal folgt dem nächsten. In der Stadt dringend benötigte 12 000 Trailer, die FEMA erwarb, entpuppten sich als falsche Modelle, zu schwer, um im Flutgebiet New Orleans eingesetzt zu werden. Der Staat Lousiana verspielte mit überzogenen Forderungen von 200 Milliarden Dollar die Sympathien im US-Kongress. Zudem heizt die Stadtverwaltung die Rassenprobleme an. Die von ihr eingesetzte Expertengruppe des Urban Land Institute rät, sich beim Wiederaufbau auf Wohngebiete zu konzentrieren, die „schon vor dem Sturm Stärke zeigten“. Die schwarzen Armenviertel sollen zu Grünanlagen planiert werden. Darunter auch das Lower Ninth Ward, wo Bürgerrechtler erste Abrissbagger stoppten. Die Mehrheit der Rückkehrer ist weiß. Die Afroamerikaner fühlen sich aufgefordert, ihren eigenen Kampf um die Stadt aufzunehmen.

Das ist Ricky Pelannes ganzes Glück: König und Königin drehen sich auf dem Abendball der „Krewe of Aquila“ im Scheinwerferlicht, funkelnd, in seinen Kostümen, fast vier Meter hohe Schmetterlingskreaturen, denen er die Hand reicht und nach vorne zur Tribüne führt, um den Applaus des ganzen Vorortes entgegenzunehmen. Nach Mardi Gras will er mit dem Bau eines neuen Fundaments beginnen. „Ich will es noch einmal versuchen. Ein letztes Mal.“ Die Zuschauer erheben sich, Applaus von allen Rängen.

Der Applaus am nächsten Morgen in St. Jude, einer grau geduckten Kirche, gilt einem anderen Regenten. „Ich gehe in ein Königreich, ruft euch eure Mutter zu, in dem es nur Frieden gibt und Ruhe.“ Der Reverend hält eine Trauerrede vor leerem Sarg. Die Leiche von Ethel Anna Herbert ist nach sechs Monaten in einen zu schlechten Zustand, wie es heißt. Immer noch werden in New Orleans Hurrikan-Opfer beerdigt. Die 82-jährige Herbert starb am 31. August 2005 kurz nach ihrem Abtransport aus dem Superdome. Sanitäter vergaßen, ihren Namen zu notieren, den Töchtern zu sagen, wohin man die Mutter bringt. Bis vor zwei Wochen haben die Geschwister verzweifelt nach ihr gesucht. Ein DNA-Abgleich brachte Gewissheit. 2376 Menschen werden weiterhin vermisst. Eine zentrale Behörde, die Vermisste recherchiert, gibt es bislang noch nicht.

Darnell Robertson, der aus dem Koma erwachte, steht mit seinen zwei Handtaschen vor der Tür des Hotels. Er muss gehen. Letzter Tag. Die FEMA zahlt mehr für ihn. Der Rezeptionistin drückt er die Hand. Er weiß nicht, wohin. „Ich gehe jetzt einfach los.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 
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