hometextarchiv
 

PHOTOGRAPHIE Christoph Püschner

 

Krieg der Friedensstifter.

 

 

Du hast vier Tage,“ sagte der Kommandant, der lächelte und freundlich war zu der Lehrerin Androsi Neema. Er bot ihr sogar einen Stuhl an, wie sie sich erinnert. Sanft, als würde er durch Watte sprechen, war seine Stimme: „Danach werden wir alles, was noch da draußen ist, zu Asche brennen.

Die Füße der Frau, die sonst Mathematik unterrichtet, rutschen über den Pfad hinab ins Tal. Ihre Plastiksandalen suchen Halt, stolpern voran, eilen durch staubigen Lehm. Es ist der erste Tag nach Beginn des Ultimatums. „Kommt heraus!“ ruft sie in die Wiesen und Felder. „Habt keine Angst!“ Die Rundhütten im Tal sind verlassen, seit Wochen, viele sind auf einen Ring aus Lehm niedergebrannt, in einigen finden sich Menschenknochen. „Kommt her! Kommt her!“ faltet sie ihre Hände zu einem Trichter. Fünf, sechs Männer begleiten sie, mehr dürfen es nicht sein, sonst erschrecken jene, die sie retten wollen. Fliehen noch tiefer in ihre Verstecke. Laut rufend rennt Androsi Neema durch ein Land des Flüsterns, in dessen Unterholz Frauen und Kinder wispern, die Bevölkerung der Region Irumu im Nordosten des Kongo. Tausende harren in Erdlöchern und verlassen sie nur nachts, um Essen zu suchen. „Ich bin eine Frau wie ihr!“ schreit Neema gegen die Stille an. „Wir wollen euch helfen!“ Nach der Eroberung der Gebiets im Mai nimmt die Armee Rache an den Dorfbewohnern, da sie gegnerische Milizen unterstützt haben sollen. Die Lehrerin arbeitet für das UN-Flüchtlingskommissariat; mit dem Kommandanten der kongolesischen Truppen ist sie nun in einem Wettlauf. Wer ihn verliert, wen Androsi Neema bis zum Fristende nicht findet und in die Sammellager bringen kann, der verliert wahrscheinlich sein Leben.

Die größte Tragödie unserer Zeit vollzieht sich im toten Winkel der Informationsgesellschaft. Sie macht kaum Schlagzeilen, selten dringt sie an die Weltöffentlichkeit. Doch kein Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg ist so mörderisch wie der im Kongo, 3,9 Millionen krepierten nach Schätzung des „International Rescue Committee (IRC)“ in den vergangenen acht Jahren. Täglich vernichtet er 1250 Menschen. Der Krieg ist hier ein Moloch, der sich immer wieder aus sich selbst gebiert, unaufhaltsam bis heute. Uganda und Ruanda fielen über das Land her, Ethnien zerfleischten sich gegenseitig in Genoziden. Einzelne Unternehmer aus dem Ausland halten sich bewaffnete Milizen, um dem zerfallenen Staat Gold, Diamanten, Uran und Coltan zu rauben. Wechselnde Despoten nahmen die Hauptstadt Kinshasa ein, eines hatten sie stets gemeinsam. Apokalyptische Gier. „Die Qualität der hiesigen politischen Klasse ist selbst für afrikanische Verhältnisse nicht zu unterbieten“, klagt in Kinshasa hinter schützendem Stacheldraht der deutsche Diplomat Albrecht Conze. Er ist stellvertretender Direktor eines der ehrgeizigsten Projekte der Vereinten Nationen: endlich Frieden ins Herzen Afrikas zu bringen. Hier, sagt er, entscheidet sich die Zukunft eines ganzen Kontinents.

Die Aufregung um den Einsatz der Bundeswehr ist groß in Deutschland. Doch während dieser Tage 500 Mann in der bisher relativ sicheren Hauptstadt stationiert werden, kämpft sich die „Mission des Nations Unies en Republique Democratique du Congo (Monuc)“ mit 17 500 Blauhelmen durch die Milizgebiete des Ostkongo. Dorf um Dorf erobert sie in manchen Gegenden, zurück geschlagen wird sie bisweilen und eingekesselt. Der deutsche Steuerzahler finanziert jeden dritten Monuc-Soldaten, vergangenes Jahr überwies Berlin 66,4 Millionen Euro an die UN-Generäle. Dieser Krieg ist auch ein deutscher, und auch dieser ist kein sauberer. Es wird viel gelitten und gestorben. „Der Schrecken“, rechtfertigt Conze die weltweit größte UN-Militäraktion, „muss endlich ein Ende haben!“

In Irumu, wo die Frist abläuft und die Lehrerin Neema um das Leben Tausender rennt, hat sich die C-Kompanie des 36. pakistanischen Bataillons auf einer grasbewachsenen Hügelkuppe festgekrallt. „Wir sind eigentlich die Reserve“, stellt Major Anwar Obaid sich und seine 120 Mann vor. „Aber es gibt Situationen, da muss auch die Reserve an die vorderste Linie.“ Um das Camp der Pakistaner bildet sich ein immer dichter werdender Ring aus Menschenleibern, in seinem Schutz drängeln sich Flüchtlingsfamilien, wie Eisenspäne um einen Magneten, keiner weiß, wie viele, es mögen 4000 sein. „Ich kann nicht helfen“, klagt Obaid, dessen Einheit selbst knapp bemessene Lebensmittelvorräte hat. „Ich funke jeden Abend meinen Bericht ans Hauptquartier: Schickt Ärzte. Schickt Medikamente. Schickt Nahrung.“ Nichts als zwei doppelt gelegte Stacheldrahtrollen trennen die Soldaten, durchtrainiert, hochgewachsen, von der Welt aus zerfallenden Körpern, an denen die Kleider in Fetzen hängen. Das Kreischen unterernährter Kinder steigt von diesem Hügel auf, der Gestank menschlicher Exkremente und der Jubel der Pakistaner, wenn sich ihre Mannschaftszüge beim nachmittäglichen Volleyballspiel duellieren. Das ist ihr einziges Vergnügen.

Die neun Schützenpanzer, für den UN-Einsatz weiß gestrichen, tragen zahlreiche Spuren jüngster Gefechte, Einschüsse und Streifschüsse. Hinter Obaid liegt ein sechsmonatiger Feldzug. „Zum Glück fehlen denen Panzer brechende Waffen.“ Im Dezember marschierte die Monuc zusammen mit der kongolesischen Armee in Irumu ein. Ihr Gegner ist die Miliz des Cobra Matata, verantwortlich für viele Massaker in der Region. Ein Hexenmeister namens Kakadu ritzt in die Haut dieser Kämpfer kleine Wunden und streicht heiliges Wasser in sie. Das soll unbesiegbar machen. In diesem Glauben stürmten Hunderte mit Kalaschnikows und Pfeil und Bogen gegen Obaids Panzer. Die Pakistaner besetzten den Hügel, auf dem der Hexer sein Hauptquartier hatte, doch schon im Januar konnten sie sich darauf nicht mehr halten. Die Übermacht der Milizen sei erdrückend gewesen, zudem haben verbündete Heeresteile der Kongolesen gemeutert und sich plötzlich gegen Obaid gewandt. Zwei Fronten-Krieg. Ihr General hatte die Munitionsbestände an die gegnerischen Milizen verschachert.

UN-Sturmtruppen aus Bangladesch versuchten, den Hügel kurz darauf wieder einzunehmen, wurden aber zurück geschlagen. „Die sind nicht schussfest, meint Obaid verständnisvoll, „die haben halt nicht den Kaschmirkonflikt mit Indien wie wir.“ Das 36. Bataillon hatte vor dem Kongo auf 5000 Metern hohen Gletschern Dienst getan. Die Friedenssoldaten Obaids, vollbärtig, strenggläubig, stolze Paschtunen, stammen aus Peschawar, der Grenzstadt zu Afghanistan, wo man zu kämpfen versteht. Aber gegen wen? fragt sich in Irumu der Offizier immer mehr. „Wer ist hier der Feind?“ Er ließ schon auf anstürmende bewaffnete Frauen und Kinder feuern. In Notwehr, aus allen Rohren. „Wer ist in diesem Land mein Gegner?“ Immer weniger kann er es erklären.

Es ist der zweite Tag des Ultimatums, von dem Major Obaid nichts weiß, weil er gar nichts weiß. Er hat nur einen Übersetzer; fällt der aus, ist die UN-Einheit, Hoffnung der Region, blind und taub. Seine Mannschaften sprechen weder Französisch, noch Suaheli, auch kein Englisch, nur Urdu. Er trifft sich fast täglich mit dem Kommandanten der kongolesischen Armee, der ihn über das meiste im Unklaren lässt. „Der sagt mir nur etwas, wenn er meine Hilfe braucht, weil irgendwo seine Leute zusammengeschossen werden.“ Die Monuc ist gezwungen mit der regulären Armee des souveränen Kongos zu kooperieren. UN-Politik. Doch nichts an dieser Truppe ist regulär. Die Monuc selbst bezeichnet sie offiziell als „größte Bedrohung des Kongo“. Wie ein Fluch liegt sie über der Friedensmission: Obaid hat der Soldateska die Straßen und Siedlungen freigekämpft und kann das Morden jetzt nicht verhindern. Kann die Massaker unter der Zivilbevölkerung nicht stoppen, die überall um Obaids Hügel herum passieren. Die massenhaften Vergewaltigungen. Er hat der Bevölkerung den Terror der Miliz genommen und sie dem Terror der Armee ausgesetzt. Selbst, wenn er besser im Bilde wäre, verfügte er gar nicht über das nötige Gerät, um die Straßen zu verlassen. Es gibt Gegenden im Kongo, wo die Monuc zusammen mit der Armee segensreich wirkte. Aber hier in Irumu wird der Retter nichts ahnend zum Handlager des Schlächters.

Abschnitt für Abschnitt bereinigen kongolesische Truppen seit April die Hügellandschaft von „milizenfreundlichen Elementen“. Sie sind besoffen, mit Drogen aufgeputscht, rotäugig, oft krank, sie leiden Hunger, weil die Armee sie nicht ernährt und ihre Vorgesetzten sie regelmäßig um ihre kargen Löhne betrügen. Ihre eigenen Offiziere können sie nicht kontrollieren, es gibt offenbar nur wenige, die es überhaupt wollen. Ein Pfarrer des Dorfes Geti, wenige Kilometer vor Obaids Camp, berichtet von 200 Leichen, die er in den vergangenen Wochen in den Feldern gesehen habe. In der Mehrzahl Frauen und Kinder. Und es sind viele Dörfer in Irumu, alle verlassen, die meisten verbrannt. „Der Krieg ist bislang schlimm gewesen“, sagt der Pfarrer. „Nichts war aber so schlimm wie die letzten Tage.“

Ihre Beine zittern, erschöpft erzählt sie abends mit geschlossenen Lidern. Viele Kilometer hat die Lehrerin Androsi Neema heute im Busch zurück gelegt. Die Ausbeute war zum Verzweifeln gering, fünf Frauen und Kinder in einer Kluftspalte, in der sie aufrecht stehen, nicht liegen konnten. 25 weitere in einem Lager aus nur 40 Zentimeter hohen Grashütten, eine im achten Monat Schwangere war darin und eine erst gestern Vergewaltigte. Fast überall, wohin sich Neema durchschlägt, melden sich geschändete Frauen bei ihr. Sie halten die Schmerzen im aufgerissenen Unterleib nicht länger aus. Den Soldaten sind die Familien des Gegners versprochene Beute, Freiwild, das gejagt wird, wo man seiner habhaft wird. Alle paar Tage organisiert die Lehrerin Sammeltransporte von Geschändeten ins Verwaltungszentrum Bunia, 70 Kilometer von hier, wo sich Pastorenfrauen der anglikanischen Kirche um sie kümmern. 185 Frauen mit ihren Familien, 925 Menschen, haben sich in die Ruinen einer bereits vor Jahren gebrandschatzten Mission geflohen, alle aus Irumu, alle seit Beginn des Monuc-Feldzuges dort angekommen. Es herrscht Hunger im Kirchenasyl, da die Nahrungsmittel längst ausgingen.

Es beginnt der dritte Tag des Ultimatums. Ein Aufstöhnen geht durch die Kirchenbänke, als die Frauen durch den Pastor von der Drohung hören. „Betet für eure Familien, die noch da draußen sind“, hallt seine Predigt im Gotteshaus. „Dass Gott sie verschone!“ Jede hier besitzt Verwandtschaft, die sich in den Hügeln verbirgt. „Vergesst nicht den Namen des Herrn! Denn ihr seid nicht besser als die, die ihr beerdigt habt.“ Die 23-jährige Zeinabo Mathama, wie erstarrt seither, wurde von drei Soldaten vergewaltigt, auf dem Hügel, den nun Major Obaid sein eigen nennt. „Sie zwangen alle zuzusehen. Meine beiden Kinder, meine Eltern.“ Zehn Männer musste die 19-jährige Androsi Irene erdulden. Als sie später aus der Bewusstlosigkeit erwachte, schleppte sie sich auf Knien ins Unterholz, weil sie nicht mehr laufen konnte. Sie leidet unter schweren Blutungen, schmerzgekrümmt sitzt sie mit Krämpfen in der Kirche. Die 28-jährige Thabo Avesi wurde auf der Flucht aus Irumu auf offener Straße geschändet, seinen Gewehrlauf rammte der Soldat danach in sie und drückte den Abzug – zum Glück ohne Kugel im Lauf. Trotzdem kehrte sie noch einmal zurück, um ihre Kinder zu suchen. Sie wurde auf dem Weg dorthin ein weiteres Mal vergewaltigt, zwei Soldaten vergingen sich jetzt an ihr. „Ich habe meine Mädchen wieder“, sagt sie und drückt die Kleinen an sich. Links und rechts von ihr sitzen sie auf der Kirchenbank. Jede der Frauen leidet unter
lebensbedrohlichen Infektionen, und keine kann sich Behandlungen leisten. Sie flehen im Gotteshaus in Bunia zu ihrem Herrn, und sie wissen zu beten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Der Hügel des Major Obaid ist für die UN nur zweimal in der Woche erreichbar, dann verkehren gepanzerte Nachschubkonvois zwischen dort und dem Hauptquartier in Bunia. Mit Vollgas rasen die Schützenpanzer über die Piste, die meterhoch versinkt in Vegetation. „Bei Beschuss niemals anhalten“, befiehlt der Major. Es ist sein erster Auslandseinsatz, bisher war er überhaupt noch nie im Ausland. Der Sohn eines Bauunternehmers wollte Arzt werden, doch seine Abschlussnoten auf dem Gymnasium taugten nicht dafür. „Ich wollte eigentlich nie zum Militär“, grinst der 37-Jährige. Obaid ist ein Vorbild an Offizier, pflichtfertig, Etikette, alte englische Kolonialschule. Das pakistanische Verteidigungsministerium hat insgesamt 3563 Männer an die Monuc abgeordert. Auf Mietbasis. 1000 Dollar bekommt es im Monat pro Gefreiten, der in der Heimat weniger als 250 Dollar verdient.

Die Armeen der ärmsten Länder der Welt heuert die UN regelmäßig für Blauhelm-Einsätze an. Nepal, Bangladesch, Indien, Mali, Senegal, Uruguay, Marokko verrichten im Ostkongo Söldnerdienste für den Frieden. 77 Soldaten starben bislang dabei. Der Blutzoll finanziert beachtliche Teile ihrer Staatshaushalte. Die Wahrer der Menschenrechte sind bei der UN oft die, die sie in in ihren Heimatländern missachten. Einen höheren Standard können sich die Vereinten Nationen nicht leisten. Diplomaten wie Conze fordern seit langem ein stehendes professionelles Heer für Friedenseinsätze. Kofi Annan erwägt in seiner Not, westliche Söldneragenturen anzuheuern. Doch die Mitgliedstaaten geben das Geld weder für das eine noch das andere. Der UN-Fleischmarkt wird weiter florieren.

Ein vielstimmiges Brausen erhebt sich am vierten Tag des Ultimatums über dem Flüchtlingslager. Es kommt endlich ein Lebensmittelkonvoi nach Irumu durch, der erste seit den Kämpfen. Altersschwache Lastwagen bringen - nach so viel Tod - das Leben. Die Pakistaner sind angespannt. Major Obaid lässt vier Schützenpanzer um die Menschenmenge in Stellung fahren. „Das kann leicht eskalieren.“ 45 Kilo Maismehl, 27 Kilo Bohnen aus Deutschland, 1,2 Kilo Salz und vier Liter Öl erhält eine fünfköpfige Familie. Nie zuvor bis zum Krieg hatte es in Irumu, in dem alles gedeiht, ein Garten Allahs, wie die Pakistaner neidisch sagen, Hunger gegeben. Die Lieferung reicht nicht für alle. Die Hälfte der 4000 Menschen bleibt unversorgt. Kongolesische Soldaten pressen Frauen das gerade Erhaltene ab. Milizangehörige in Zivil schmuggeln sich in die Reihen und stehen um Essen an. Obaid lauscht am Handradio der Fußballweltmeisterschaft. Australien gegen Japan. „Welche Dramatik!“, ist er hingerissen. „Besonders die Schlussphase.“ Streitereien häufen sich jetzt zwischen den Mehlsäcken, es kommt zu kleinen Handgemengen und plötzlich ein lauter Knall. Die Panzerbesatzungen greifen zu den Abzügen ihrer Maschinengewehre, bereit zu feuern, doch falscher Alarm. Dem zweiten Mannschaftszug ist beim Volleyball-Spiel der Ball geplatzt.

Der fünfte Tag bricht an, unerbittlich steigt die Sonne über ein betörend schönes Land. Die Arbeit der Lehrerin Androsi Neema und ihrer Gruppe vermochte hunderte Flüchtlinge aus den Dickicht zu holen. Tausende, schätzt sie, sind noch dort.

 

Die Soroptimist International, die nach eigenem Bekunden weltweit größte Service-Organisation berufstätiger Frauen, hat Kontakt mit der Frauenorganisation der anglikanischen Kirche in Bunia aufgenommen. Sie unterstützt die Opfer von Vergewaltigungen mit Spenden.
www.soroptimist-reutlingen.de

   
 
           
home top

PHOTOGRAPHIE
Christoph Püschner, Stuttgart
christoph.pueschner@t-online.de
www.zeitenspiegel.de