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PHOTOGRAPHIE Martin Sasse

 

Die Kinder von Angeles City.

 

 

Nimm die, die sich schämen, sagt Karl. Er zeigt nach vorne, wo Kinder in roten Lackstiefeln tanzen. Nimm die, die sich gar nichts trauen. Die Zerbrechlichen. Die ganz still liegen neben dir in der Nacht. Karl ist 38 und schon ein Veteran. Er mag es blutjung im Club Neros in Angeles City, Philippinen, Stadt der Engel, die immerzu lächeln, Tanz um Tanz, Kuss um Kuss, bis hinein ins Morgengrauen. „Das Fleisch ist straffer bei den Jungen“, sagt Karl. „Ich mag es schön fest, und wenn die um die 20 sind, ist es schlaff.“ Wie aufgezogene Puppen ruckeln 40 Mädchen vorne auf der Bühne, mit knappen Bikinis, Bein vor, Bein zurück, ein mechanisches Ballett. Dazwischen sind welche, die wirken wie ausgefallen, kaputt, sie stehen bewegungslos, den Männern auf den Barhockern abgewandt, umfassen mit den Armen ihre Schultern. „Siehst du die?“ weist Karl auf so ein Mädchen. Er greift sich ans Kinn, hält den Kopf schief und zieht das breite Lächeln auf, von dem er glaubt, es sei spitzbübisch. Die älteren Mädchen kennen es schon. Sie meiden seinen Blick. „Die Kleine dort“, sagt er, „ will ich auch mal ausprobieren.“

Party-Time, viertes Bier, Samstagabend, lachend streckt er die Hand aus. 40 Unterleiber reihen sich vor ihm auf, so dicht, dass er sie greifen kann. Karl mag die Haut zart, pfirsichzart. Seine Hand kneift in die Bauchdecke des Mädchens, nicht schmerzhaft, nur ein bisschen, um die Festigkeit zu prüfen. Er ist Maschinenbautechniker und kommt aus dem Kreis Biberach. Arme und Beine einiger Tänzerinnen sind gemustert mit kleinen Brandwunden. „Zigaretten“, ärgert er sich. „Es gibt immer wieder Leute, die auf denen ihre Glimmstängel ausdrücken, Idioten!“ Karl mag die Haut makellos. Über der Scham tragen die Mädchen rosa Plastikkarten, mit einer Klammer am Slip befestigt, sie baumeln im Takt, wie Veterinärmarken in deutschen Schlachthäusern. Name und Geburtsdatum steht darauf, offizielle Volljährigkeitsnachweise, die zu fälschen 1,50 Euro kostet. „Noch ein Bierchen, Karl?“ nimmt ihn Hanno, der Manager aus Bremen, in den Arm.

Unschuld liegt hoch im Kurs. Kinderkörper haben Konjunktur. In immer mehr Ländern werden Minderjährige als Ware angeboten, nicht vereinzelt, sondern massenhaft: Thailand, Kambodscha, Sri Lanka, China, Dominikanische Republik, Russland, Tschechien. Allein auf den Philippinen gibt es nach Unicef-Schätzungen 100 000 minderjährige Prostituierte. In Angeles City, wo Karl durch die Bars zieht, sind 40 Prozent der Barmädchen zwischen 13 und 18 Jahre alt. Sex mit Minderjährigen gilt hier als Schnäppchen. „Das Problem nimmt dramatisch zu“, heißt es von der Kinderschutzorganisation Ecpat. Zehntausende Deutsche reisen jedes Jahr als Sextouristen ins Inselreich, die meisten verlangen nach möglichst jungen Mädchen. Polizei und Behörden sind nicht machtlos, sie verdienen gut an Bars und Mädchenagenturen.

Einer der wenigen, die gegen den Missbrauch von Kindern kämpfen, ist der irische Pater Shay Cullen. Immer wieder schafft er das fast Unmögliche auf den Philippinen: Käufer und Verkäufer von Kindern vor Gericht zu bringen.

„Ich habe etwas für dich“, flüstert der Souvenirhändler in Angeles City dem Priester zu. „Sehr, sehr jung. Sei in einer Stunde wieder da.“ Nur wenige Minuten ist Cullen im Freizeit-T-Shirt auf der Rotlichtmeile unterwegs, um sich nach Minderjährigen zu erkundigen, da erhält er das erste Angebot. Er tarnt sich als Sextourist, sein Assistent fährt im abgedunkelten Kleinbus hinterher. „Ich kriege Kopfschmerzen“, stöhnt Cullen, breite Stirn, Boxernase. Vor 30 Jahren gründete er „Preda“, eine Hilfsorganisation für sexuell missbrauchte Kinder, dreimal schon wurde das Mitglied des Columban-Ordens für den Friedensnobelpreis nominiert. 38 Mädchen leben in seinem Therapiezentrum, heute Abend hofft er, ein weiteres Kind aus Angeles zu befreien. Er wandert die Fields Avenue entlang, die „Filth Avenue“ (Siffstrasse) genannt wird, biegt ein in die „Blow Job Alley“, Endstation für viele der jungen Mädchen, die älter geworden nur noch für schnellen Oralsex geordert werden. „Süßer, ich blas dir einen umsonst!“ trällert eine pockennarbige Hure im Bunnykostüm. „Sehr nett“, grüßt Cullen freundlich. „Heute nicht.“

Die Recherchen des Priesters zwangen die Behörden erst neulich wieder, sechs Clubs zu schließen. Seine Mitarbeiter hatten dokumentiert, dass sich Minderjährige unter den Tänzerinnen befanden. Die Kopfschmerzen machen ihn heute unleidig, ein Undercover-Agent wider Willen, liederliche Tarnung, manchmal verfällt er mitten auf der Strasse in lautes Fluchen. „Ein beschissener Ort.“ Trotzdem wird Cullen fündig, viel Tarnung braucht es in Angeles City nicht.

Zitternd, nervös von einen zum anderen schauend, sitzt das Mädchen zwischen Cullen und dem Souvenirhändler. 15, vielleicht 16 Jahre alt. Das Lächeln ist mit dickem Lippenstift auf ein bleiches Gesicht gemalt. Der Verkäufer führte Cullen zu einer Metzgersfrau, die wiederum ließ nach dem Mädchen rufen. „Was soll ich mit dem tun?“ fragt es auf Philippinisch die Fleischerin. „Was wird er mit mir machen?“ In einem Restaurant außerhalb der Rotlichtmeile warten Cullens Sozialarbeiterinnen, dorthin will er das Mädchen bringen. „Es dauert nicht lange“, beruhigt der Souvenirhändler. „Nur ein bisschen rumspielen.“ Sie bleibt stumm. „Er wird auf dich aufpassen“, drängt der Verkäufer. Als sie immer noch zittert, barmt es Cullen, und er bricht ab. Er will sie nicht zwingen. „Es ist eine bittere Erkenntnis: Ich kann nicht alle retten.“

Die „Stadt der Engel“ gibt selten ein Mädchen frei. Bernadette, 14, ist eine von ihnen. Die Bundespolizei holte sie bei einer ihrer wenigen Razzien aus dem „Fantastic“, da war sie 13. Das zierliche Mädchen, schwarze Augen, schwarzes Haar, galt in der Bar als „Bestseller“. Ihre Jungfräulichkeit hatte der Betreiber, ein australischer Rentner, für die marktüblichen 400 Euro verkauft. Der Freier vergewaltigte sie. Zahlreiche Männer verlangten nach ihr, Spanier, Japaner, Koreaner. Stammkunde war ein Deutscher, der das Mädchen für ganze Tage buchte. Seit einem Jahr lebt sie im Zentrum von „Preda“, einer Mischung aus Festung und Kinderheim, hoch über der Bucht von Olongapo. Dort vollzieht sich ganz allmählich, langsam, eine Metamorphose. Aus dem hochdressierten Sexbunny auf High Heels wird wieder ein Mädchen, ungeschminkt, ohne Drogenflackern in den Augen, das mit Freundinnen Hüpfspiele spielt, Lesen und Schreiben lernt, für Harry Potter schwärmt, wild über den Schulhof jagt. Nie wird Bernadette aber diese Wandlung ganz gelingen. Zu viel ist passiert.

Es ist das einzige Schutzzentrum dieser Art auf den Philippinen, und ständig ist es im Belagerungszustand. „Wir haben Angst, dass Bernadette entführt wird“, sagt Cullen. Sie darf nicht in den kunterbunten Schulbus steigen wie die anderen Mädchen, nicht unter ohrenbetäubender Rockmusik zur Schule fahren. Bernadette sagt als Zeugin im Verfahren gegen „Daddy Terry“, den Barbesitzer aus. Cullen fürchtet, dass der Australier seine Leute zum Mädchenheim schickt. Vor allem muss Bernadette aber vor ihrer Mutter geschützt werden, selber eine ehemalige Prostituierte, die sie zurück in die Bars nach Angeles schicken will. Fünfmal war sie schon da, keifte und schrie, um ihre Tochter mitzunehmen. „Sie verkaufen Ihr Kind! Sie ist nicht Ihr Eigentum!“ schrie Cullen zurück, der für seine Wutausbrüche selbst unter Mitarbeitern gefürchtet ist. Etliche Kinder hat er bereits durch Kidnapping verloren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Eine enorme Wirtschaftsmacht ist gegen ihn: 400 Millionen Dollar werden nach Schätzungen auf den Philippinen jedes Jahr mit Prostitution umgesetzt. Die Gewinne, die mit Frauen- und Kinderkörpern zu machen sind, vergiften Verwaltung, Justiz und Politik. Urteile werden gekauft, Gesetze bezahlt. Die Korruption, die auf den Philippinen schlimmer ist als jeder Taifun, zieht sich bis in höchste Regierungskreise. Der streitbare Priester beschuldigt seit Jahren den Tourismusminister, persönlich mit der Sexindustrie verbunden zu sein. „Die Behörden könnten die Bars schließen, ihnen die Lizenzen entziehen und die Besitzer verhaften.“ Prostitution ist auf den Philippinen generell verboten. Wer Kinder unter zwölf Jahren missbraucht, dem droht die Todesstrafe. Offiziell ist es hier sogar verboten, mit Minderjährigen bei geschlossener Tür alleine in einem Raum zu sein. Das ist das Papier. In der Realität stellte Cullen neulich Nachtwachen ein, um Überfälle zu erschweren.

Die Aula von „Preda“ zeigt eine makabre Trophäensammlung. Die Kinder, die hier durchgehen, zum Essen, zum Spielen, können an Stellwänden sehen, was mit den Peinigern ihrer Vorgänger geschah. Cullen hängt Fotos auf von ausgemergelten Männern in dunklen Kerkerlöchern, die zur Seite schauen, Augen in tiefen Höhlen, voller Fieberglanz. Sie alle haben die Preda-Leute zur Strecke gebracht. Steve Roy Mitchell, einen Briten, der zwischen vier und acht Jahre alte Jungs missbrauchte. Michael J. Clarke, der sich Dr. Crazy nannte, und eine Art Reiseagentur für Pädophile betrieb. Den Deutschen Thomas B., der eine Elfjährige missbrauchte und den Cullen vor ein deutsches Gericht stellen ließ. Das erste Mal sagte damals ein philippinisches Kind in Deutschland gegen seinen Peiniger aus. Er bekam dreieinhalb Jahre Haft. Die Geschichte wurde später in einem „Tatort“ verfilmt. Victor Keith Fitzgerald, den Cullen mit drei achtjährigen Jungs auf einer Jacht erwischte. Er wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt, ist aber gegen Kaution von 100 000 Pesos wieder auf freiem Fuß. „Der Kampf gegen Kinderprostitution“, klagt Cullen, „ist ein Kampf gegen die Korruption.“

Männern aus Europa reicht Bernadette knapp bis zur Brust. Der Unterleib wird bei Mädchen ihrer Größe beim Geschlechtsverkehr mit „Kunden“ oft aufgeschlitzt, die Membranen reißen, immer wieder, so dass sie selten verheilen. Das Glied ist in Angeles eine Klinge. Auf den Hotelzimmern stoßen Reinemacherfrauen häufig auf blutige Kondome. Am liebsten machen es einige Sexurlauber aber ohne. Viele Mädchen trauen sich nicht abzulehnen. Sie leiden unter Tripper, Pilzen, Genitalherpes. Sie schlafen mit den Aidskranken, die abgemagert, dunkelfleckig, mit bandagierten Gelenken in den Hotels logieren. Ein Belgier soll kürzlich Dutzende Mädchen bewusst mit HIV angesteckt haben, bevor er ausgewiesen wurde. Alles nahm Bernadette in Kauf, damit die Familie nach dem Tod ihres Vaters nicht ganz ins Elend sank. Zwei Gewalten zerstören die Kinder von Angeles: Armut und Reichtum. In der Kluft zwischen ihnen werden sie zermahlen.

Du bist der Boss, sagt Karl. Sei nicht zu nett zu ihnen. Setz dich durch, die brauchen eine harte Hand. „I am the fuck inspector!“ stößt er gut gelaunt mit den Mädchen im „Neros“ an. „Little brown sex machines“, nennt er sie. Seine 16-jährige „Freundin“, die er auf die Jagd im Kinderrevier mitnimmt, klammert sich an Karl, als drohe sie zu ertrinken. Sie schlingt den Arm um ihn, hält seine Hand fest, lacht, sie grimassiert, fast panisch ist sie bemüht, nicht seine Aufmerksamkeit zu verlieren. „Wie ein Teddybär! Es wird mir manchmal lästig“, sagt Karl. Für sie ist es Überlebenskampf, Unterhalt für viele Familienmitglieder. Für ihn ist ein Spiel.

In Angeles ist er kein Spinner, kein einsamer Perverser. Karl hat hier viele Freunde. Francis, der einen schlecht gehenden Mopedverleih betreibt, prostet im Vorbeigehen zu. Er reist ab und an nach Kambodscha, um an noch jüngere Mädchen, Zwölfjährige, zu kommen. Es ist in dieser Stadt wie eine große Gemeinschaft an Gewalttätern, die glauben, dass sie nette Onkels seien. Dieter, Anfang 60, der pensionierte Postbote aus Augsburg, sitzt in einer Plüschecke des „Neros“. Je jünger, desto besser, sagt er im gemütlichen Großvaterton. „In Deutschland guckt mich doch keine Frau mehr an. Hier kriege ich jede. Hier klagen die nie über Migräne, die sagen nie nein, selbst wenn sie dabei Schmerzen haben.“

Es gibt Wunden, wissen die Therapeuten bei „Preda“, die nur heilen, wenn man den Eiter heraus lässt. Matten haben sie an die Wände gebunden, auf dem Boden liegen dicke Schaumstoffpolster. Die Decke ließ Cullen mit schalldämmenden Eierverpackungen beschlagen, damit die Kopfschmerzen der Therapeuten erträglicher werden. Nur wenige können über längere Zeit diese Arbeit verrichten: zorniges, kehliges Brüllen, Winseln, Schreien, Flehen, anderthalb Stunden lang, jeden Abend im „Primal“, der Weintherapie. Ein archaisches Ritual, in dem sich die Mädchen von ihren verdrängten Traumas befreien sollen. Bernadette, schüchtern sonst, zurückhaltend, schlägt ihre Faust in die Matten, so fest sie kann, außer sich, mit aller Kraft, bis die Fingernägel brechen. „Bastarde“ schreien die Kinder, „Ihr Säue!“ „Warum hast du mir das angetan, Mama.“ Ihre Geschichten, über die sie sonst nur wenig reden, kommen an solchen Abenden zurück. Lange sitzen sie danach mit der Psychologin Carina Baldonado zusammen und reden.

Nachts, wenn Bernadette im großen Schlafsaal schläft, geschützt von Gittern, Vorhängeschlössern, Nachtwachen und Mauern, rüttelt an ihr ein hünenhafter weißer Freier. Er schlägt mit seiner Faust auf sie ein, reißt ihr die Arme aus dem Rumpf, die Beine aus dem Leib, er zieht ihr die Knochen aus dem Fleisch, und stopft alles, was einmal Bernadette war, in eine Mülltonne. „Er lacht dabei,“ sagt sie. „Die Weißen lachen immer. Sie sind reich, sie trinken und feiern. Ich glaube, Weiße müssen glückliche Menschen sein.“

 

Nach der Reportage erstatteten wir gegen die deutschen Freier Anzeige. Es wird von der Staatsanwaltschaft ermittelt.

   
 
       
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PHOTOGRAPHIE
Martin Sasse, Berlin
SasseFoto@aol.com
www.laif.de