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PHOTOGRAPHIE Hansjörg Hörseljau

 

Die Wiege der Kneifzangenkultur.

30 Millionen Deutsche werkeln heim.

 

 

Es geht wieder los. In Wellen kommt das Adrenalin. Er kennt die Vorzeichen, so fühlt es sich immer an, er grinst in sich hinein. Aufregung wie eine Ballerina vor der Premiere. Robert Krell, 45, wälzt sich unruhig im Bett. Das Laken ist nass geschwitzt, kein Auge kriegt er zu. Wieder und wieder geht Krell seinen Plan für heute durch. Passt alles zusammen? Hat er alles bedacht? Ein kleiner Fehler, eine Winzigkeit, weiß er aus Erfahrung, kann das Ganze zum Scheitern bringen. Der Wecker zeigt drei Uhr in der Nacht, die Leuchtziffern flimmern nervös. Im Halbschlaf reiht er das Wichtigste auf: Überschiebmuffen, Dichtungsringe, Gleitmittel, 90-Grad-Winkel. Das Herz klopft ihm bis zum Hals. In fünf Stunden ist es soweit. Die Baumärkte öffnen.

Letzte Zuflucht Obi. In Omas Bad ist etwas furchtbar schief gegangen. Schmutzwasser schwappt zwischen den Fliesen, die Rohre sind gerissen, zu viel hat Krell in seinem letzten Heimwerkerschub gewagt. „Woher sollte ich das wissen!?“ Das Malheur setzt ihm zu. Die Wanne, die er im Bad einen Stock höher eingesetzt hat, halber Swimmingpool, mit Düsen und allem, war zu groß, die Abflussrohre zu klein. „Das T-Stück noch,“ hetzt er frühmorgens durch den Baumarkt. „Die Muffensicke.“ Dunkle Ringe trägt er unter den Augen. „Die Zahnspachtel, wo war die noch mal?“ 20 Jahre schleift, bohrt, sägt der Polizeiverwaltungsangestellte an seinem Haus in Hannover-Ahlten, eine Werkbank mit Telefonanschluss, die Gattin leidet stumm. Die Fliesen splittern, als Krell wieder zu Hause ist, Heizungsrohre brechen, Putz rieselt aus Mauerfugen, Sohn Kay rattert im Bad mit der „Atlas“. Seine Fingerspitzen vibrieren während der Zigarettenpausen nach. „Wie Stahlfedern“, sagt er amüsiert. Eingespieltes Team, die Krells.

Wo Oma Achselhaare zupfte, sieht es jetzt aus wie in Kabul. Großer Granattrichter. „Hoffentlich bricht der Fenstersturz nicht herunter“, sagt Kay, der heute bester Laune ist. Ein wackeliger Holzbalken stützt den Sturz provisorisch. Von oben fallen große Putzstücke auf den Nacken vom Junior. Manchmal kann er ausweichen, manchmal nicht. Egal, er lacht. „Das ist wie Pokern. Du gewinnst, oder du verlierst.“

Ein Land saniert sich selbst. Es zerlegt sich mitunter auch selbst. So viel Hammer, Bohrer, Spachtel waren in Deutschland nie im Umlauf. Die eigenen Hände haben Konjunktur. 36,6 Milliarden Euro setzt die Baumarktbranche jährlich in Deutschland um. 30 Millionen Bundesbürger sind unter die Dübel-Desperados gefallen. Kinder betet, Vater lötet. Nur jeder zehnte Mann greift zum Buch, aber jeder fünfte zum Schlaghammer. Und die Frauen holen auf. Heimwerken ist hip. Wir fangen etwas an. Hauptsache, es gibt was zu tun. Cooles Cocooning. Das Fernsehen entdeckt ihre Dramen, Heldentum im Muffenformat. „Do it yourself – S.O.S“. In Soaps bangt man mit, wer kriegt den nächsten Stromschlag ab?

Baumärkte sind die Wiegen der Kneifzangenkultur, Obi ist der Oheim unter ihnen, hier hat vor 33 Jahren alles angefangen, und hier entsteht sie jeden Tag neu. „Wir mussten dem Kunden mühsam alles beibringen“, sagt Obi-Gründer Manfred Maus. „Ich sage Ihnen: Mühsam, mühsam, mühsam.“

Es dröhnt. Die Säge vom Zuschnitt sirrt, Schlager balzen aus allen Boxen, Udo Jürgens´ Obi-Hymne, rauf und runter, „mehr als nur vier Wände.“ Aus den Regalen feuern Werbevideos Euphoriesalven in die Menge. „Mit dieser hochwertigen Trenn-, Scher-, und Schleifscheibe kann Sie nichts mehr aufhalten!“ Zwischendrin Durchsagen, die sich wie Schreie von Ertrinkenden anhören. „Herr Remmers, bitte schnell zur Kasse, Herr Remmers!!“ Im Dutzend sind Baumärkte im Raum Hannover in den letzten Jahren hochgezogen worden, 35 gibt es nun, ein dichter Ring legt sich um die Leine-Stadt, lauernd. Baumärkte sind Allesfresser, perfekte Verdauungsapparate des Handels, die Geranien genauso gut vertragen wie Kojkarpfen, Tapeten, Kochtöpfe und Zement, Marke Teutonia. Sie machen Sehnsüchte serienreif. In ihren Mustern träumt die Republik.

„Dann kommen Sie mal“, ruft Obi-Fachberater Martin Brütting, 22, hinter sich. Dranbleiben, zügig, heißt es nun für die Kundin. Voran im Laufschritt, hierherum und daherum und mittenrein, durch zwölf Meter tiefe Regalschluchten, über denen fern die Kunstsonne glüht, dicht wie Lianen die Orientierungsschilder hängen. 22 000 Quadratmeter umfasst der Obi-Markt in Hannover-Linden, 65 000 Artikel, 120 Mitarbeiter. Schnaufend kommt die Rothaarige, roter Samtschal, Designbrille, neben Brütting zum Stehen. „Ich bin scharf auf eine Klobrille mit Stacheldraht“, hatte sie ihm gesagt. Klobrillen bis zur Decke zeigt ihr stolz der Verkäufer, Stacheldraht, eingeschweißt in Plexiglas, ist auch dabei. Sie schaut enttäuscht. Zu wenig Stacheldraht, sagt sie. „Stecke ich das von da nach hier“, hält jemand Brütting zwei Rohrstücke unter die Nase. „Oder ist es von so nach hier richtig?“ „Wenn ich jetzt nicht beraten werde“, schreit ein anderer von hinten, „werde ich randalieren!“ So geht es bei Brütting den ganzen Tag. Hochleistungssport. Berlin-Marathon nichts dagegen. Die Kollegen nehmen morgens Magnesium, abends Massagefußbäder. Gegen Wadenkrämpfe.

„Oh, ein Loch!“ erschrickt Kay Krell in Omas Badruine. „Die Wand wird ständig dünner.“ In immer ältere Heimwerkerschichten rüttelt sich sein „Atlas“-Schlagbohrhammer vor, auch der frühere Besitzer des Hauses übte sich in dieser Disziplin, füllte die Mauern mit Schutt. „Das war ein Idiot“, klagt Krell. „Jetzt müssen wir noch mehr ausbessern.“ Er schlägt sich tiefer ins Gestein. „Es ist ein total befriedigendes Gefühl, wenn man etwas geschafft hat.“ Mutter ruft zum Essen, Junior winkt genervt ab. Noch hält der Fenstersturz über ihm.

Im Menschen bohrt es. Manfred Maus, 67, hat es als Erster erkannt. Obi et orbi. Obi wie H(obby). Mach die Welt, wie sie dir gefällt. Nummer eins in Deutschland, Nummer zwei in Europa, 472 Märkte weltweit, 24 000 Mitarbeiter, Flaggschiff der Branche. Der Name klingt harmlos, jedenfalls nicht nach abgerissenen Daumen und akuter Verletzungsgefahr, sondern gemütlich, so wie auch der Firmengründer wirkt – auf den ersten Blick.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Leichen von „Holz-Heiner“ und „Eisen-Karl“ pflastern seinen Weg. Die Sortimente verschiedener Baubranchen unter einem Dach vereinigte Maus zum ersten Mal 1970 in Hamburg-Poppenbüttel, anfangs skeptisch beäugt, bald beklatscht und kopiert. Die Idee des Baumarkts, den Home Stores der USA abgekupfert, krempelte den Einzelhandel um. „Wir haben viele Familienbetriebe vernichtet“, vermerkt Maus, 67, bekennender Katholik, ohne große Reue. Handel sei Wandel, und Veränderung regiere die Welt. Deutschland ist dem Biber, Wappentier der Franchise-Kette, längst erlegen, Russland und China stehen jetzt auf dem Programm. Heimwerker aller Länder, vereinigt euch – in Obi.

Die Köpfe, die sich über das Bohrloch schieben, sind krebsrot, lehmbesprenkelt, brauner Schweiß rinnt ihnen von der Stirn. Schrebergartenkolonie Schüttewiese bei Hannover. Dem Heimwerker sind Grenzen gesetzt, aber er verschiebt sie ständig. „Wat könnt ihr erkennen?“, fragt einer. Angestrengtes Starren. Aus der Tiefe schmatzt es obszön. „Dat ist Schlamm“, sagt der Erste schließlich. „Schlamm!“, bestätigt der Zweite, und Dietrich Wunsch, 62, geht zum ersten Mal in die Knie. „Wo ist das Wasser?!“ Nun bohren sie in seinem Schrebergarten schon seit Stunden, drehen sich an der Kurbel dusselig wie Maultiere. Josefs Bandscheibenvorfall macht sich bemerkbar, er beißt auf die Zähne, Wunsch blutet aus einem Riss am Daumen. Und immer noch kein Wasser. Als er bei Obi die Brunnenbohrmaschine auslieh, haben sie wissend gegrinst. Das fällt ihm jetzt wieder ein. „Weiter, immer weiter“, treibt Dietrich Wunsch an. Seine Geranien vertrocknen. Was unangenehmer ist: Die Nachbarn, die sich in zwei Reihen mit Bierflaschen hinterm Zaun aufgebaut haben, beginnen sich zu amüsieren. „Nu los! Nu los!“, rufen sie.

Durch den Schlamm ist in der Kolonie schon jeder gegangen. Eine Ehrensache. Willst du es perfekt, mache es selber. Misstraue Fachleuten. Die wollen nur dein Geld. Bis zu zehn Löcher haben manche Kolonisten vergeblich gebohrt. Dietrich Wunsch ist erst bei Bohrloch Nummer eins. „Ich muss da durch.“ 25 Jahre lang fuhr er Motocross-Rallys, Gift für die Knochen, der Beruf war anstrengend, das Privatleben turbulent, jetzt will er Ruhe. Nur der Brunnen fehlt ihm noch zu seinem Glück. „Wenn das hier nicht klappt, hau ich ab nach Kreta.“ Am nächsten Tag erscheint Josef mit Krücken. Sie schaffen es auf eine Tiefe von 6,20 Meter, dann treffen sie auf einen Stein. Josef mag nicht mehr. Wunsch macht sein verletzter Daumen zu schaffen. „Ich habe die Schnauze voll.“ Er schweißt auf eine Eisenstange einen Meißel, der soll den Stein zertrümmern. „Das wird trocken bleiben, dat sach ich dir!“, kommt es von Nachbarn. Wunsch macht sich erschöpft wieder auf zu Obi, um Rat einzuholen.

In der Welt der Baumärkte ist alles nur halb so schlimm. Das Chaos ist anderswo. Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Für jede Lösung eine Gebrauchsanleitung. Die Welt ist in Ordnung, darauf kriegt man zwei Jahre Garantie. Wer seinen Arbeitsplatz verliert, ist meistens machtlos. Er kann sich aber einen Wetterschutz vor die Haustür bauen. Risse in den Wandfugen verschmieren. Die Waschbetonwege mit dem Hochdruckreiniger von Algen befreien. „Kraft, Tempo, Ausdauer – diese Kreissäge kennt keine Grenzen.“ Trutzburgen des Trostes sind die Obis, Hornbachs und Praktiker, hier bist du dein eigener Herr. Tapezier dir dein Glück zurück.

Baumarkt ist auch Schwarzmarkt. Offenes Geheimnis. Die Schattenwirtschaft wächst kontinuierlich seit Jahren. Es wimmelt im Obi vor Dunkelarbeitern und ihren Auftraggebern, zwielichtiges Volks, scheu, immer in Eile, sie lachen verlegen wie die beiden Herren im feinen Zwirn: „Bitte fragen Sie nicht. Das wäre nicht so gut.“ Der Osteuropäer in ihrer Mitte, Blaumann, schwitzend, wuchtet Zementsäcke auf einen Einkaufswagen. „Viele Kunden arbeiten schwarz“, sagt ein Obi-Mann aus der Baustoffabteilung. „Wir fragen da nicht genau.“ Übellaunig, bruddelnd, Zwirbelbart, leicht aus der Form, stromert ein Reihenhausbesitzer durch die „Fensterstrasse“. Zwei Polen machen ihm den Hausanbau, prächtiges Wohnzimmer, großzügige Veranda. „Die haben keine Ahnung“, schimpft er. „Und langsam sind die, so langsam.“ Die Hausbesitzer unterhalten Netzwerke, man erkundigt sich, für jedes Gewerk gibt es den passenden Illegalen. Die Gefahr, aufzufliegen, ist gering. Einige Ökonomen warnen sogar davor, Schwarzarbeitern an den Kragen zu gehen. Dann baue ja überhaupt niemand mehr.

Handwerkerdämmerung. Die Amateure erwachen. Auch im Neubaugebiet von Pattensen, im Süden Hannovers, sind Firmenwagen selten unterwegs. Man hilft sich selbst. „Diese Glaswolle!“, stöhnt Corinna Jehle beim Zuschneiden. „Brrrr.“ Es juckt höllisch auf der Haut. Bei Obi hat die allein erziehende Mutter zweier Kinder das Modell „011/42 Economy“, das Haus zum Selberausbauen, bestellt. Stoisch presst Ex-Gatte Andreas die Dämmplatten in die Wandverkleidung. Er hilft ihr beim Hausbau, dafür muss er keine Unterhaltszahlungen leisten. Opa Jehle ist ebenfalls mit von der Partie, versonnen steht er vor einem rätselhaften Gegenstand: „Was ist denn nun das wieder für ein Teil?“ Der Obi-Laster kommt mehrmals täglich, beliefert auch die Nachbarn Sasse und Lepsy, alle haben sie das gleiche Haus. Sie helfen sich untereinander, tauschen Werkzeuge und Wissen. Was der eine nicht kapiert, hat der andere gerade begriffen. Eine einzige Selbsthilfegruppe dieses Neubaugebiet. Die Kinder umlagern die Rampe des Lasters, sie quengeln: „Wir möchten helfen lernen.“ Pattensen ist Heimwerkers Himmelreich.

Als hätten sie Glückspillen eingeworfen, schuften die drei Familien. „Wir beginnen ein neues Leben“, strahlt Jehle in ihrem Glaswollenest. „Es wird ganz anders sein.“ Bau dich frei. Bauen berauscht. Schöpfungsakt in Eternit. Die Wirkung wird vorübergehen, wissen die Bauseligen, sie werden sich in ihren „011/42“-Modulen auseinander leben, sich vielleicht bald unangenehm finden. Noch aber genießen sie es: gemeinsam aufzubrechen. Nur zwei Straßen weiter wohnte Christoph Lepsy bisher. „Lauter Eigentümer, die sich hassen. Ich atme jedes Mal auf, wenn ich zur Baustelle komme.“ Der Duft von Karins Grillwürsten lockt alle gegen Abend aus ihren neuen Höhlen, gehörig feiern lernen sie beim Bauen, bis tief in die Nacht hocken sie zusammen und reden darüber, wie schön es einmal wird.

Die Baumärkte haben just geöffnet, schon ist Familie Krell wieder für Omas Bad unterwegs. Sie suchen die billigsten Fliesen. Als es Mittag wird, erreichen sie Obi. „Das ist tödlich“, klagt Hermine Krell. „Wir sind jetzt schon im sechsten Baumarkt!“ Kay klagt zurück. „Ich habe dich nur mitgenommen, weil meine Freundin keine Zeit hat. Wir brauchen doch eine Geschmackskorrektur.“ „Jetzt reicht es mir“, sagt Mutter. „Ich will nach Hause.“ „Uh, schlimmer wie Einkaufen mit einem Kleinkind“, ätzt Junior. Dann haben sie die Fliesen, Superschnäppchen, letzter Restposten. Vater Krell zeigt wenig später grienend auf eine Familie, die auf die leer geräumte Palette starrt. „Guckt mal, die suchen die Fliesen.“

Dann passiert es doch noch. Der Fenstersturz bricht. Er kommt herunter, als sich Kay unter ihn beugt. In letztem Moment fängt Vater Krell die Trümmer auf. Sie erzählen das mit Achselzucken, Veteranen unter sich, und machen sich wieder ans Werk. Es muss vorangehen. Wohin auch sonst?

 

   
 
         
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