Das Tor zum Geld. Die Containersaga.

 

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PHOTOGRAPHIE Gregor Schläger

 

 

Der Trost der Welt liegt in dieser Stimme, wie ein Gottesversprechen durchdringt sie die Nebelbänke. „Es ist alles okay.“ Die Fenster des Schiffes sind blind, wie weiß gestrichen. Es ist der erste Funkspruch, den die OOCL Qingdao seit langem empfängt. „Alles ist okay“, hallt er wiederholt durch die Stille der Kommandobrücke. Die Stimme des Lotsen vom deutschen Küstenradar. „Sie sind exakt auf Kurs.“ Die Qingdao befindet sich mit Kapitän Goy Ah Chon auf einer Reise, die nie endet, an keinem Tag im Jahr. In Endlosschleifen zieht sie zwischen Asien und Europa ihre Bahnen. Ein Mond aus Stahl, der einmal in sechs Wochen die Erde umkreist. Müde blickt Kapitän Chon über den Rand seines Kaffeebechers in den Nebel, hoch oben im Brückenturm des Containerfrachters, 50 Meter über dem Meer. Die Besatzung ist auf hoher See in eine Starre gefallen, die meisten dösen in den Kabinen, Schweigen in den Gängen und Fluren, nur in der Mannschaftsmesse ballert einsam eine Action-DVD. Jeder der 23 Männer versucht noch einmal, Atem zu schöpfen vor der großen Anspannung. Die Ruhe vor dem Sturm. Es steht der Crew, die in Pusan war, in Shanghai und Singapur, die kraftzehrendste Station der Reise bevor. Ein Hafen der Superlative, der schneller wächst als jeder andere in Europa und anderthalbfach turbulenter als Chinas Bruttoinlandsprodukt: Hamburg. Deutschlands Wirtschaftswunder. Mit 90 000 PS schiebt sich die „OOCL Qingdao“ ihm entgegen.

Wie Käfer zum Licht zieht es in der Deutschen Bucht die Schiffe zur Elbmündung. Enger und enger rücken sie als grüne Punkte auf dem Radarbild, als Schatten im Nebel gleiten sie dicht einander vorbei. Von nun an werden Fehler kaum mehr verziehen. Der Weg nach Hamburg ist ein Nadelöhr, 110 Kilometer Elbe, schmal und ohne Ausweichstellen. Es prasselt jetzt Funksprüche auf die Kommandobrücke, sie jagen einander im Äther, auf fünf Kanälen. Drei Mann bedienen sie gleichzeitig. „Der schickt uns auf die Sandbank“, faucht Chon plötzlich, als ihm der Lotse kurz hintereinander zwei sich widersprechende Kurse durchgibt. Doch die letzte Ruderangabe hatte der Lotse schon für ein anderes Schiff bestimmt. Das Steuerhaus der Qingdao, in der man eben noch eine Nadel hatte fallen hören können, füllt sich mit dem Lärm von Kurskorrekturen, Diskussionen von Kapitänen anderer Schiffe, wer überholen darf, wer nicht. Akzente von Russen, Chinesen, Amerikanern. Kapitän Chon, klein und untersetzt wie Buddha, sonst auch ganz die Ruhe, ist jetzt nervös. Das Hamburg-Syndrom, wie er es nennt. Der Malaysier fährt mit 322 Meter Länge eines der größten Containerschiffe der Welt, Fleisch hat er geladen, Fernseher, Säure, H & M-Kleidung, Zulieferteile für den Maschinenbau, Blumenzwiebeln, alles, was China für den Export produziert, und drei Tage Verspätung hat er schon. In ganz Mitteleuropa warten Kunden auf ihn.

Diese Reportage spielt nicht im Deutschland der Depression. Das hier ist das Land der Wunder, des Aufschwungs, Booms, zweistellige Wachstumsraten jedes Jahr. Das Feuerwerk des Kapitalismus sprüht, wo einst sein Totenbett gesehen wurde. Der Erfolg hat die Prognosen längst abgehängt, Saison für Saison steigert Hamburg seinen Umschlag kräftiger als von Experten erwartet. Es fällt allen schwer, mit dem neuen Hafentempo Schritt zu halten, am schwersten fällt es dem Hafen selbst. Die Terminalbetreiber kommen mit dem Erweitern nicht mehr hinterher. Dörfer werden abgerissen. Allenthalben klaffende Sandgruben, in die dreistellige Millionenbeträge gegossen werden. Ein Plus von 15,5 Prozent im Containerverkehr. Ein Anstieg im Chinahandel von 29 Prozent. Zehntausende neue Arbeitsplätze sind in der Region entstanden. Personal dringend gesucht. In den vergangenen Jahren wurde die Hansestadt zum wichtigsten Überseehafen auch für Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Österreich. Bis Russland reicht sein Hinterland. Die Globalisierung hat Hamburg zum Lieblingskind erkoren. Krise ist anderswo.

Der Koloss fährt ohne Claqueure ein, verlassen ist die Flaniermeile der Landungsbrücken, auf denen Touristen tagsüber den Hafen begaffen wie Zoobesucher ein Nashorn-Gehege. Seit die Qingdao am Abend die Nordsee verließ, ist sie am Bremsen, muss Kapitän Chon Geschwindigkeit verlieren, sonst löst er Tsunamis aus. Die neun Meter große Antriebsschraube würde die Nebenflüsse der Elbe leer saugen, viele Kilometer tief ins Landesinnere hinein. Das zurück schwappende Wasser der großen Pötte verwüstet regelmäßig die Uferstreifen. Die Yachtclubs schreiben den Lotsen zu Weihnachten Mahnbriefe, sie mögen ihr Inventar weiterhin unbeschädigt lassen. Die Villenbewohner in Uferlage beschweren sich über zu laute Schiffsdiesel, die sie nachts aus den Betten reißen. Rücksichtsvoll hält sich die Qingdao 50 Meter weiter rechts. So tief wie nirgendwo sonst auf seiner Fahrt treibt sich der Überseefrachter ins Landleben, hinein in Wohngebiete und Freizeitreviere. Er reitet dabei auf der ersten Welle der einsetzenden Flut, zwei Meter machen den Unterschied zwischen Termine halten und im Schlick stecken bleiben. Nur während einer halben Stunde am Tag haben manche Schiffe genügend Wasser unterm Kiel, um in den Hafen einzufahren. Er ist für auswärtige Kapitäne ein schwer durchschaubares System aus Zeitfenstern, die sich unterschiedlich öffnen und schließen. Eine Rattenfalle.

Die klaustrophobische Lage Hamburgs ist jedoch sein Vorzug. Sein Preisvorteil. Es kostet sieben Cent, eine Flasche Rotwein von Australien mit dem Schiff hierher zu transportieren, und das Vierfache, eine Flasche aus Württemberg per Lkw nach Hamburg zu bringen. Je kürzer der Landweg der Fracht, desto billiger wird sie. Die Qingdao bremst immer noch. Sieben Knoten, vier, jetzt noch 1,7 Knoten, die letzte Kraft nehmen die Hafenlotsen dem Stahlberg in einer Punktdrehung direkt vorm Liegeplatz. Das Schiff ist fast so lang wie das Becken breit, Schlepper verrichten Maßarbeit. Drücken sanft gegen den Rumpf, bremsen, drücken Zentimeter für Zentimeter Richtung Kaimauer, die unter der Masse des Schiffes sofort zerbröseln würde. Vereinigung zweier Landmassen. Ringsherum glüht der Hafen vor den geballten Energien einer Industriegesellschaft. Orange wabert der Nebel. Der Horizont ist zergliedert in Strahlenschneisen und Sternenhaufen. Das dramatischste Lichtschauspiel, das Deutschland zu bieten hat. Wie von Petroleum begossen scheint nachts das Wasser zu brennen. Für die Reeder tut es das auch.

Liegeplätze sind rar und Liegezeiten kostspielig. Rund 730 000 Euro zahlt der Eigner „Orient Overseas Container Line (OOCL)“ mit Hauptsitz in Hongkong für die Qingdao am Tag. Der Steuermann tritt vom Ruder zurück, schüttelt seine Glieder aus. Sie schmerzen. Kapitän Chon, Haare zerzaust, so müde, dass Kaffee nicht mehr wirkt, nimmt den bordeigenen Fahrstuhl abwärts, trifft den Hamburger Schiffsmakler, um Ersatzteile für den Motor zu erhalten. Dann fährt er mit dem Lift wieder aufwärts, geht ins Bett, unter die Decke, drückt sich das Kissen auf den Kopf.

Es beginnt der Höllenritt, den Joschka Klindworth, 34, unberührt als Routine bezeichnet. „Ich liebe Segelfliegen“, schwelgt er. „Höhe - es gibt nichts Schöneres.“ Am Containerterminal Altenwerder (CTA) betrachtet er das Schiff des Kapitän Chon aus der Vogelperspektive. Breitbeinig hockt er in 60 Meter Höhe. Fast schon Pilotenqualitäten verlangt sein Job. „Du darfst keine Angst haben“, wird ihnen bei der Ausbildung erklärt. „Das merkt die Maschine.“ Klindworth hängt am 62 Meter langen Ausläufer einer Containerbrücke, eine Kathedrale für die Verlade. Wie eine Spinne am Faden rast er am Ausleger vor, bricht mit seinem Greifer einen Container aus dem Schiffsgebirge, rast am Ausleger wieder zurück und setzt ihn ab. Klindworth gehört zur letzten Verteidigungslinie menschlicher Arbeitskraft, hinter ihm sind nur noch Maschinen. Eine ganze Phalanx von ihnen blinkt im Standby-Modus, reglos noch, auf einer Million Quadratmeter Betonfläche und wartet auf Klindworths ersten Knopfdruck.

Die Logistiker haben sich in Altenwerder ein Paralleluniversum geschaffen. Eine Flotte von 53 AGVs (Automated Guided Vehicles), cockpitlosen Lastwagen, übernimmt den Containertransport von Klindworths Kran ins rückwärtige Lager. 12 000 im Asphalt versenkte elektromagnetische Transponder geben ihnen Orientierung. In Sekundenabständen funken die Geistertrucks Informationen über Ladestatus, Radstellung und Fahrtrichtung an den Zentralcomputer. Sogar zum Tanken schicken sich die AGVs automatisch. Von ihnen übernehmen Portalkräne die Container, sie sortieren die Boxen ins Lager ein. Lichtschranken steuern sie. Es gibt zwei dieser bügelförmigen Kräne in jeder Stapelreihe, der eine 31 Meter breit und 22 Meter hoch, der andere 40 Meter breit und 27 Meter hoch, damit sie sich gegenseitig unterqueren können. Auf und ab pflügen sie sich durch ein Feld aus Containern. Doppelt so effizient wie andere Terminals ist das CTA, das modernste der Welt, heißt es. Menschen sind in diesem System nicht mehr vorgesehen, Zutrittsverbot, die Maschinen in Altenwerder nehmen nur Rücksicht auf Maschinen.

24 Stunden bleiben der „Qingdao“ zum Ent- und Beladen, der nächste Kunde, die „Savannah Express“, schiebt sich schon durch den Ärmelkanal. Klindworth schießt mit der Glasgondel über das Stahlgebirge. Raubvögel gleich stürzen sich vier Containerbrücken auf die Ladung. 1943 Boxen müssen an Land, 1723 wieder an Bord. Die ersten drei Stunden sind Klindworths produktivste, danach baut er langsam ab. Danach baut jeder ab. Konzentration wie beim Segelfliegen. Das einzige Klo ist eine Dixie-Box am Ende des 1400 Meter langen Kais, dahin müssen die Brückenfahrer rennen. Besser, man verkneift es sich, sagt Klindworth.

Die Jobmaschine Hafen ist auch ein Jobkiller, geradezu ein Kannibale. Früher fiel die Verladewirtschaft eher durch Massenentlassungen auf. Jetzt aber ist der Boom im Containerwesen derart enorm, dass es selbst der schönsten Rationalisierung nicht gelingt, die Gesamtzahl an Arbeitsplätzen zu verringern. „Seit fünf Jahren stellt man wieder ein“, registriert Hannes Henning Fischer, 54, Ausbilder beim Fortbildungszentrum Hafen. Seine Schule vermittelt Arbeitslose an die Terminalbetreiber. Keine Arbeitsagentur ist so erfolgreich wie er: Die Übernahmequote liegt bei 95 Prozent, zuvor muss aber ein zweiwöchige „Findung“ bestanden werden. Da scheitern die meisten. „Wir sagen denen: Das ist kein geiler Job“, so Hannes Fischer, den die Schüler „Schinderhannes“ necken. „Das ist knallhart.“ Die Arbeitslosen werden in den vierzehn Testtagen von einem kalten Wasser ins nächste getaucht. Fischer zieht sie in einer Arbeitsbühne 50 Meter übers Hafenbecken, damit er in Ruhe ihre Schwindelfreiheit studieren kann. Er beruft sie kurzfristig um 22 Uhr zum Unterricht, um Nachtschicht zu simulieren. „Da sieht man gleich, hängt die Fluppe, stresst die Frau.“ Einen Containerbrückentrainer haben sie auf dem Gelände stehen und ein Übungsschiff und einen Übungscontainer. „Es geht jetzt langsam wieder aufwärts“, atmet ein gelernter Gas- und Wasserinstallateur nach bestandenem Härtetest auf. Drei Monate Ausbildung muss er jetzt noch absolvieren. „Ich werde im Hafen das Netto verdienen, was ich vorher Brutto hatte. Nach vier Jahren kann ich jetzt endlich wieder an Familienurlaub denken.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Es fehlt bundesweit an Kapitänen und Schiffsoffizieren. Die Lotsenbrüderschaften an Weser und Elbe klagen über Unterbesetzungen. Reeder zahlen Nautiker weit über Tarif, locken mit vielen Vergünstigungen. Dumm, dass die Kapitänsschule in Hamburg gerade zugemacht wurde. Die Werften weltweit sind für Jahre ausgebucht, hunderte zusätzlicher Containerfrachter stehen in den Auftragsbüchern. „Es gibt immer noch nicht genügend Kapazitäten“, klagt Astrid Hartje, Niederlassungsleiterin der OOCL, unter deren Flagge die Qingdao fährt. „Wir kriegen am Kai in China längst nicht alle Container mit.“ Die Liniendienste in Hamburg hätten den Luxus, nur den Telefonhörer abnehmen zu müssen. „Wir brauchen keine Werbung.“ Voll fahren ihre Frachter nach Deutschland, für 1050 Dollar der Container, leer fahren sie zurück, für nur 150 Dollar die Box. „Uns gehen die Leercontainer in Fernost aus.“ Der Hafen, daraus machen die Reeder keinen Hehl, floriert auch deshalb, weil viele Fabriken nicht mehr in Deutschland, sondern in Asien stehen. Ein Krisenprofiteur. Bis 2015 soll sich das Frachtaufkommen noch einmal mehr als verdoppeln.

Das weiht Moorburg dem Untergang. “Wir kämpfen um jedes Haus!“, ist Rainer Böhrnsen entschlossen. „Wir bleiben!“, erklären auch die anderen acht Verschanzten, die sich an diesem Abend in Böhrnsens ausgebauter Scheune treffen. Der Hafen beginnt bei ihnen hinterm Gartenzaun, wo er bereits das Dorf Altenwerder schluckte. Maschinen sind jetzt Moorburgs Nachbarn. „Wo wir jetzt sitzen, soll später das Hafenbecken hin“, zeigt Böhrnsen auf Plänen. Seit Jahrzehnten existiert die 800-Einwohner-Gemeinde auf Abruf. Es darf nicht verkauft und gekauft werden. Es dürfen keine Dachstühle ausgebaut und verfallene Häuser durch neue ersetzt werden. Die alte Bevölkerung ist diesem Druck in den 80er-Jahren fast vollständig gewichen. Neubürger kamen nach, in billige Wohnungen und ein grünes Idyll. Lange sah es aus, als könnte sich Moorburg halten. Doch je mehr der Hafen von der Containerflut überzulaufen droht, desto häufiger orakeln Lokalzeitungen: „Zugriff auf Moorburg steht unmittelbar bevor.“ Und wieder verlassen Menschen das Dorf, 50 waren es alleine im letzten halben Jahr. Die Schule schließt, vielleicht auch der Kindergarten. „Ich setze auf den Bau des neuen Containerterminal in Wilhelmshaven“, sagt Böhrnsen, der den Widerstand organisiert. „Der nimmt uns den Druck.“ Eine zweite Front ist für die Moorburger jetzt aufgemacht. Pläne für die neue Hafenbahn führen die Trasse im Halbkreis dicht an der Siedlung vorbei. „Das bricht uns das Genick.“ Böhrnsen hat für sich selber aber vorgesorgt. Sein Haus gehört 660 Eigentümern. „Die müssen sie einzeln enteignen. Das braucht Zeit.“

Es wird eng im Hafen. Das Ehepaar Brill spürt die neue Unruhe auf den Fußsohlen. In einen orangefarbenen Container haben sie vor drei Jahren ihren Arbeitsplatz verlegt, an die Kreuzung zweier Hafenbecken und zweier Straßen. „Heißer Reifen“ heißt der Stehimbiss auf einer umtosten Verkehrsinsel im Freihafen. Jeder Lastwagen bringt bei Brills das „Astra“ fast zum Überschwappen, Bierwellen bis gefährlich nah an den Glasrand. „Ich habe als Angestellter hintereinander drei Pleiten durchgemacht“, sagt Christian Brill, „jetzt nehme ich mein Schicksal in die eigene Hand.“ Als entlassener Speditionskaufmann bei verschiedenen Fluggesellschaften hatte ihn mit 44 Lenzen niemand mehr gewollt, da nutzte er die Chance Hafen. Einmal schon haben sie den Esscontainer erweitert, demnächst müssen sie es ein zweites Mal tun. Es gibt nur ganz wenige dieser Ruhepunkte im Verladeland. „Die Wände weißeln wir mehrfach im Jahr, die schmieren unsere Jungs mit den Anzügen schwarz.“ Die Lascher sind ihre Kunden, Minenarbeiter der Containerwirtschaft, die auf den Schiffen in bis zu 25 Meter tiefen Lagerschluchten die Boxen entriegeln. Auch ihre Firmen stellen mächtig ein. Bandscheibengeplagte Lastwagenfahrer gabeln bei Brills Schweinebraten mit Rotkraut, ehe sie wieder für unabsehbare Zeit im Stau stehen. „Wir ersticken bald an diesen Containerdingern“, klagen sie. Es geht weder vor noch zurück auf den Straßen. Die Schiffe werden immer größer, aber die Straßen bleiben, wie sie sind. „Auch der Kartoffelsalat ist selbst gemacht“, strahlt Barbara Brill über randvollen Aschenbechern. Die Containertürme werden den Brills bald über die Fensterluken wachsen, das Hafenbecken links neben ihnen haben sie voriges Jahr zugeschüttet, dort ist ein Lager für Leercontainer geplant. Das Becken rechts von ihnen soll folgen. Mehr Land braucht der Hafen und weniger Wasser. Zuletzt hatte es in Hamburg so große Umbauten gegeben, als in der Seefahrt die Dampfkraft das Segel ablöste.

Die 23 Männer der „Qingdao“ wollen vor dem Ablegen noch rasch mit Frauen und Kindern telefonieren, was auf See schlecht möglich ist. In einem Kleinbus werden sie vom CTA-Terminal gefahren. Offiziere wie Decksmänner, Männer, die an Bord unerschütterlich scheinen, sacken in den Telefonzellen der Seemannsmission zusammen. Die meisten von ihnen sind Filipinos und Chinesen, sie schichten neun Monate am Stück, kein Tag Urlaub, kein Familienleben. „Ich mache das noch vier Jahre, bis ich das Geld für ein Fischerboot zusammen habe“, träumt einer vom Ausstieg. „Was ist das schon für ein Leben hier? Ich sage meiner Frau zum Abschied immer: Ich lebe in einem Gefängnis mit DVD-Player.“ Für die Karaoke-Bar in einem schäbigen Lagerschuppen bleibt nur eine Stunde, junge Frauen, die vielleicht auch zu mehr aufgelegt wären, tanzen mit den Männern. Hüfte an Hüfte. Doch zu mehr ist keine Zeit. Und für einen Hamburg-Besuch schon gar nicht. „Ich war noch nie dort“, sagt einer. „Wie sieht es da aus?“ Zum Fleischwolf ist die Schifffahrt geworden und die Elbe zur Grenze zwischen Erster und Dritter Welt. Die Männer schälen sich aus der Umarmung der Frauen. Ihre Maschine ruft.

„Der Mensch ist überfordert,“ sagt der Geschäftsführer des Altenwerder Terminals, Heinrich Goller, und betrachtet aus seinem Bürofenster die ablegende „Qingdao“. Der Herr der Maschinen ist noch nicht zufrieden mit dem Automatisierungsgrad. „Der Mensch kann die notwendige Geschwindigkeit nicht mehr leisten. Er ist bei vielen Tätigkeiten bei uns am Limit.“ Noch mehr Effizienz muss heraus geholt werden, sagt er. „Die letzten zehn Prozent.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
               
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Gregor Schläger
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